Erwartung versus Realität – Ein Interview mit meinem früheren Ich
Von Tia Magdic
Ich: Herzlich willkommen! Danke, dass du hier bist und wir das Interview doch noch so kurzfristig führen können, die Zeit vor dem Praktikum ist schon so lange her, dass die Erinnerungen nachlassen. Wenn ich mich recht erinnere, fängt das Praktikum bald an, oder?
Früheres Ich: Ja, da erinnerst du dich richtig, in einer Woche fängt es an und ich bin schon sehr aufgeregt. (lacht)
Ich: Das kann ich gut verstehen, so ein Praktikum ist ja auch etwas sehr Spannendes. Um mit meiner ersten Frage zu starten, als du nach einem Platz gesucht hast, wie bist du da vorgegangen, hast du an speziellen Orten geschaut?
Früheres Ich: Ich habe meine Suche relativ früh gestartet, nämlich Ende Februar, Anfang März, und gegen Ende März hatte ich dann meine Bewerbungen verschickt. Um vielleicht erst etwas zur Suche zu erzählen, natürlich habe ich gegoogelt und erstmal geschaut, welche Bibliotheken und Archive es in Hamburg gibt. Eine weitere große Hilfe war der EMIL-Raum Praxissemester, in dem alle Praktikumsberichte und Steckbriefe etc. gesammelt werden. Durch den Kurs im ersten Semester Nationale Informationsstrukturen bekam man ebenfalls Impulse, wo man sich bewerben kann. An diesen Orten habe ich nach wissenschaftlichen Bibliotheken und Archiven gesucht und bin dann auf Museumsbibliotheken gestoßen, welche ich bis dato noch gar nicht auf dem Schirm hatte.
Eine dieser Museumsbibliotheken war die des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), welche mich sofort in den Bann gezogen hat, mit dem süßen kleinen Lesesaal, der der kleinste und schönste in ganz Hamburg sein soll (so wird er zumindest von den Mitarbeiter*innen liebevoll genannt).
Ich: Deine Suche klingt ja wirklich spannend, wieso hast du dich denn für eine wissenschaftliche Bibliothek entschieden?
Früheres Ich: Na ja, während des ersten Semesters habe ich festgestellt, dass mich wissenschaftliche Bibliotheken und Archive etwas mehr interessieren als die öffentlichen. In den öffentlichen Bibliotheken hat man mehr mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun (Lesungen, Veranstaltungen etc.), und das hat mich ehrlich gesagt abgeschreckt.
Ich: Verständlich. Aber dann ist das Praktikum ja die perfekte Gelegenheit, um zu schauen, ob wissenschaftliche Bibliotheken was für dich sind.
Früheres Ich: Das denke ich mir auch.
Ich: Hast du dann auch die Stelle beim MARKK bekommen?
Früheres Ich: Ja, habe ich. Insgesamt hatte ich zwei Bewerbungsgespräche, wobei das beim MARKK das erste war. Das andere wäre beim Altonaer Museum gewesen, jedoch war ich so begeistert von der kleinen Bibliothek, dass ich nicht abwarten wollte, wie das Gespräch im Altonaer Museum läuft, weswegen ich gleich zugesagt habe.
Ich: Stimmt, ich erinnere mich ganz vage daran, vor allem an den Teil, wo du dich beim Abschied verbeugt hast. (lacht)
Früheres Ich: Ja… das ist mir bis heute peinlich, aber ich kann noch einen drauflegen, als mich die Leitung angerufen hat, um mir den Platz zu bestätigen, habe ich „am Apparat“ gesagt. Das ist so unglaublich peinlich, weil man sowas als jüngerer Mensch eigentlich nicht mehr sagt.
Ich: Oh je, jetzt da du es sagst… Megapeinlich. Bevor wir vor Scham im Boden versinken, mach ich lieber mit der nächsten Frage weiter. Wurde denn bei deinem Bewerbungsgespräch auch das Projekt erwähnt, das man machen muss?
Früheres Ich: Nein, als ich danach fragte, bekam ich die Antwort, dass das noch Zeit hat und ich mir deswegen keinen Stress machen soll. Man kann so ziemlich alles machen, und wenn man selber keine Idee hat, dann wird einem weitergeholfen. Danach war ich dann schon beruhigter, da ich noch keine Idee hatte.
Ich: Das liegt bestimmt daran, dass du vor dem Praktikum noch nie in einer Bibliothek gearbeitet und sozusagen keine Vorkenntnisse hast, außer die aus dem Studium.
Früheres Ich: Absolut richtig.
Ich: Welche Erwartungen hast du somit an das Praktikum?
Früheres Ich: Nun, vorrangig sollte das Praktikum Spaß machen und ich mich mit den Kollegen gut verstehen. Wenn ich dann auch noch den praktischen Umgang mit der Katalogisierungssoftware WiniBW erlerne und am Ende die Erkenntnis erlange, ob ich später mal in wissenschaftlichen Bibliotheken arbeiten möchte, dann hat das Praktikum sehr viel gebracht.
Ich: Ich hätte es nicht besser formulieren können, deiner Meinung schließe ich mich vollkommen an. Na dann, dass wären alle meine Fragen gewesen, wir hören uns dann nochmal, wenn das Praktikum rum ist, aber erstmal wünsche ich dir viel Spaß und vielen Dank für deine Zeit.
Timeskip 23 Wochen später:
Ich: Dann erzähl doch mal. Hast du das Praktikum gut überstanden?
Früheres Ich: Ja, erstaunlicherweise. Ich habe es mir wirklich schlimmer vorgestellt. (lacht)
Ich: Das freut mich zu hören. Also, berichte doch vielleicht kurz, wie das Praktikum so abgelaufen ist.
Früheres Ich: Die ersten paar Wochen habe ich mich mit allem vertraut gemacht. Mir wurden die Bibliothek, das Museum und die Programme (WiniBW[1] und ACQ[2]) gezeigt, mit denen ich arbeiten sollte. Als es zeittechnisch Halbzeit schlug hatte ich eine Projektidee und damit angefangen, diese umzusetzen. Fast gleichzeitig kam die Aufgabe der Revision[3] dazu. Bis zum Ende hin hatte ich mich mit dem Projekt, der Revision und ab und zu mit dem Bearbeiten von Spenden beschäftigt. Manchmal gab es noch kleinere Ausflüge zu den anderen Museumsbibliotheken und spontane Aufgaben. Das ist jetzt sehr komprimiert zusammengefasst.
Ich: Freut mich zu hören, dass du doch noch ein Projekt gefunden hast. Gab es nicht noch ein zweites?
Früheres Ich: Doch, ich sollte versuchen, ein Lastenheft zu erstellen für die Retrokatalogisierung der Sonderbestände. Das war jedoch schwieriger als zuerst gedacht. Daher wurde das Projekt über Bord geworfen.
Ich: Ach ja, stimmt, ich erinnere mich. Und das andere Projekt hat aber geklappt, oder? Was war das denn nochmal?
Früheres Ich: Das zweite hat meiner Meinung nach nur zu 80 % geklappt. Ich war wahrscheinlich zu überambitioniert. Beim zweiten Projekt ging es darum, eine digitale Bibliotheksführung mit der Actionbound-App zu erstellen. Am Ende war ich dann so weit, dass ich eine Führung erstellt hatte, der nächste Schritt wäre gewesen, dass das Produkt in die Kontrolle geht und von den Leitungen abgesegnet und korrigiert wird. Daraufhin hätte man eine Lizenz erwerben müssen – die App ist für Einrichtungen nämlich nicht kostenlos, für Privatpersonen schon –, bevor man sie veröffentlichen kann. Aber so weit bin ich nicht mehr gekommen. ☹
Ich: Das ist aber schade, aber immerhin war das Erstellen der Führung ja bestimmt auch schon eine große Hilfe für die Mitarbeiter*innen. Du hast erwähnt, dass es auch noch Ausflüge gab, wo warst du denn alles?
Früheres Ich: Also, da ich nicht die Einzige in einer Museumsbibliothek war, hatte man die Idee, sich gegenseitig zu besuchen. Dann sind noch drei weitere Einrichtungen dazugekommen, bei denen keine Praktikant*innen waren, die sich einfach so bereit erklärt haben, uns die Bibliothek zu zeigen. Die Besuche haben im MARKK angefangen, dann kamen das Altonaer Museum, das Museum für Hamburgische Geschichte, das Denkmalschutzamt, die Gedenkstätte Neuengamme, das Archäologische Museum und die Hamburger Kunsthalle hinzu. Außerdem war ich noch zwei Tage in der Unibibliothek für den Fachbereich Kulturwissenschaften, um das Ausleihsystem kennenzulernen. Und als Abschluss des Praktikums wurde noch eine kleine Fotoarchiv-Führung organisiert, die ich mit den anderen Mitarbeiterinnen aus der Bibliothek besucht habe.
Ich: Oh, das klingt ja aufregend, hat bestimmt Spaß gemacht, oder?
Früheres Ich: Das hat definitiv Spaß gemacht. Es war toll, die Möglichkeit zu haben, verschiedene Museumsbibliotheken und deren Museen und Ausstellungen zu besuchen. Auch witzig, dass man da dann zum ersten Mal die anderen Kommilitonen getroffen und auch Hamburg etwas besser kennen gelernt hat.
Ich: Klar, wenn man zugezogen ist, dann war das bestimmt hilfreich, um sich besser in der Stadt zurechtfinden zu können. Was waren denn die spontaneren Aufgaben, die du erledigt hast?
Früheres Ich: Ab und zu waren es Botengänge (Bücher zur Stabi zurückbringen, Arbeiten zum Buchbinder bringen), dann habe ich manchmal auch Lieferungen am Eingang abgeholt und in die Bibliothek gebracht und einmal dabei geholfen, eine Buchspende abzuholen und zu transportieren. An der Ausleihe habe ich nicht so oft gesessen, da die studentische Hilfskraft fast immer da war. Ab und zu kam es auch vor, dass Besucher*innen im Voraus gefragt haben, ob man die Bücher schon zusammensuchen kann, das habe ich dann übernommen.
Ich: Ist dir denn während dem Praktikum etwas Ungewöhnliches passiert? Beziehungsweise, an was wirst du dich noch eine Weile lang erinnern?
Früheres Ich: Oh je, an eine Sache erinnere ich mich noch ganz genau… An dem Dienstag war ich alleine in der Bibliothek (jede zweite Woche war das so, da alle Teilzeit arbeiten und es dann halt vorkommt, dass nicht immer alle da sind, bis auf Donnerstag), und plötzlich hat das Telefon geklingelt und die Dame am Empfang sagte mir, ein Besucher würde der Bibliothek gerne Bücher schenken. Obwohl ich mehrmals betont hatte, der Mitarbeiterin des Museums und dem Besucher, dass es mir als Praktikantin nicht erlaubt ist, Spenden bzw. Schenkungen anzunehmen, ließ es sich nicht vermeiden, dass ich am Ende die Bücher doch angenommen habe. (Natürlich, nachdem er mir erklärt und gezeigt hat, um was für Bücher es sich handelt und ich ihm auch erklärt habe, wie wir Spenden und Geschenke behandeln und welchen Unterschied es dazwischen gibt). Ich hatte echt Angst, dass ich Ärger bekomme, aber das war dann gar nicht nötig, und mir wurde auch gesagt, dass ich in dem Moment richtig gehandelt habe.
Ich: Das klingt nach einer sehr stressigen Situation. Gut, dass du keinen Ärger bekommen hast. Meine abschließenden Fragen wären folgende: Hast du etwas dazugelernt? Konntest du zu einer Erkenntnis kommen, ob wissenschaftliche Bibliotheken das Richtige für dich sind?
Früheres Ich: Dazugelernt habe ich ganz viel, und mein Wunsch, die Datenbank genauer kennenzulernen, ist auch in Erfüllung gegangen. Die Kollegen waren nett und freundlich, und ich habe jetzt auch eine Vorstellung wie es ist, in einer Bibliothek zu arbeiten. Ich konnte tatsächlich zu einer Erkenntnis kommen. Und zwar, dass ich doch noch gerne in eine öffentliche Bibliothek gehen würde, um dort mal zu schauen, wie es so abläuft. Das klingt sogar für mich verrückt, wenn ich es so ausspreche, aber ist dennoch so.
Ich habe einfach während des Praktikums gemerkt, dass es mir manchmal zu still war. Man hat eigentlich nur vor sich hingearbeitet, da wenige Besucher*innen kamen. Aber da ja auch während des Praktikums noch Corona war, liegt das wahrscheinlich daran. Ich denke, ich brauche einfach eine etwas lautere und lockerere Umgebung. Sehr oft habe ich mich auch nach dem Sinn meiner Tätigkeit gefragt und war am Zweifeln, ob das Berufsfeld überhaupt das richtige ist, aber das sind halt die Standard-Sorgen, die wahrscheinlich jeder Studierende hat.
Nichtsdestotrotz war das Praktikum eine lehrreiche Erfahrung; und für Museumsbibliotheken spricht, dass man mit alten Beständen arbeiten kann und jeden Bereich kennenlernt.
Ich: Okay, ja zu dem Schluss bin ich auch gekommen, vielen Dank für das Interview es hat mich riesig gefreut!
[1] Katalogisierungsdatenbank
[2] Erwerbungstool
[3] Regelmäßige Kontrolle des Bestandes auf Schäden, Aktualität (des Datensatzes), Lesbarkeit der Signatur, Vermisste Bücher etc.