Geschichten aus Bibliotheks- und Informationsmanagement

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Erwartung versus Realität – Ein Interview mit meinem früheren Ich

Erwartung versus Realität – Ein Interview mit meinem früheren Ich

Von Tia Magdic

Ich: Herzlich willkommen! Danke, dass du hier bist und wir das Interview doch noch so kurzfristig führen können, die Zeit vor dem Praktikum ist schon so lange her, dass die Erinnerungen nachlassen. Wenn ich mich recht erinnere, fängt das Praktikum bald an, oder? 

Früheres Ich: Ja, da erinnerst du dich richtig, in einer Woche fängt es an und ich bin schon sehr aufgeregt. (lacht)  

Ich: Das kann ich gut verstehen, so ein Praktikum ist ja auch etwas sehr Spannendes. Um mit meiner ersten Frage zu starten, als du nach einem Platz gesucht hast, wie bist du da vorgegangen, hast du an speziellen Orten geschaut?  

Früheres Ich: Ich habe meine Suche relativ früh gestartet, nämlich Ende Februar, Anfang März, und gegen Ende März hatte ich dann meine Bewerbungen verschickt. Um vielleicht erst etwas zur Suche zu erzählen, natürlich habe ich gegoogelt und erstmal geschaut, welche Bibliotheken und Archive es in Hamburg gibt. Eine weitere große Hilfe war der EMIL-Raum Praxissemester, in dem alle Praktikumsberichte und Steckbriefe etc. gesammelt werden. Durch den Kurs im ersten Semester Nationale Informationsstrukturen bekam man ebenfalls Impulse, wo man sich bewerben kann. An diesen Orten habe ich nach wissenschaftlichen Bibliotheken und Archiven gesucht und bin dann auf Museumsbibliotheken gestoßen, welche ich bis dato noch gar nicht auf dem Schirm hatte.  

Eine dieser Museumsbibliotheken war die des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), welche mich sofort in den Bann gezogen hat, mit dem süßen kleinen Lesesaal, der  der kleinste und schönste in ganz Hamburg sein soll (so wird er zumindest von den Mitarbeiter*innen liebevoll genannt).  

Ich: Deine Suche klingt ja wirklich spannend, wieso hast du dich denn für eine wissenschaftliche Bibliothek entschieden?  

Früheres Ich: Na ja, während des ersten Semesters habe ich festgestellt, dass mich wissenschaftliche Bibliotheken und Archive etwas mehr interessieren als die öffentlichen. In den öffentlichen Bibliotheken hat man mehr mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun (Lesungen, Veranstaltungen etc.), und das hat mich ehrlich gesagt abgeschreckt.  

Ich: Verständlich. Aber dann ist das Praktikum ja die perfekte Gelegenheit, um zu schauen, ob wissenschaftliche Bibliotheken was für dich sind. 

Früheres Ich: Das denke ich mir auch.  

Ich: Hast du dann auch die Stelle beim MARKK bekommen?  

Früheres Ich: Ja, habe ich. Insgesamt hatte ich zwei Bewerbungsgespräche, wobei das beim MARKK das erste war. Das andere wäre beim Altonaer Museum gewesen, jedoch war ich so begeistert von der kleinen Bibliothek, dass ich nicht abwarten wollte, wie das Gespräch im Altonaer Museum läuft, weswegen ich gleich zugesagt habe. 

Ich: Stimmt, ich erinnere mich ganz vage daran, vor allem an den Teil, wo du dich beim Abschied verbeugt hast. (lacht)  

Früheres Ich: Ja… das ist mir bis heute peinlich, aber ich kann noch einen drauflegen, als mich die Leitung angerufen hat, um mir den Platz zu bestätigen, habe ich „am Apparat“ gesagt. Das ist so unglaublich peinlich, weil man sowas als jüngerer Mensch eigentlich nicht mehr sagt.  

Ich: Oh je, jetzt da du es sagst… Megapeinlich. Bevor wir vor Scham im Boden versinken, mach ich lieber mit der nächsten Frage weiter. Wurde denn bei deinem Bewerbungsgespräch auch das Projekt erwähnt, das man machen muss? 

Früheres Ich: Nein, als ich danach fragte, bekam ich die Antwort, dass das noch Zeit hat und ich mir deswegen keinen Stress machen soll. Man kann so ziemlich alles machen, und wenn man selber keine Idee hat, dann wird einem weitergeholfen. Danach war ich dann schon beruhigter, da ich noch keine Idee hatte. 

Ich: Das liegt bestimmt daran, dass du vor dem Praktikum noch nie in einer Bibliothek gearbeitet und sozusagen keine Vorkenntnisse hast, außer die aus dem Studium.  

Früheres Ich: Absolut richtig.  

Ich: Welche Erwartungen hast du somit an das Praktikum? 

Früheres Ich: Nun, vorrangig sollte das Praktikum Spaß machen und ich mich mit den Kollegen gut verstehen. Wenn ich dann auch noch den praktischen Umgang mit der Katalogisierungssoftware WiniBW erlerne und am Ende die Erkenntnis erlange, ob ich später mal in wissenschaftlichen Bibliotheken arbeiten möchte, dann hat das Praktikum sehr viel gebracht.  

Ich: Ich hätte es nicht besser formulieren können, deiner Meinung schließe ich mich vollkommen an. Na dann, dass wären alle meine Fragen gewesen, wir hören uns dann nochmal, wenn das Praktikum rum ist, aber erstmal wünsche ich dir viel Spaß und vielen Dank für deine Zeit. 

Timeskip 23 Wochen später: 

Ich: Dann erzähl doch mal. Hast du das Praktikum gut überstanden? 

Früheres Ich: Ja, erstaunlicherweise. Ich habe es mir wirklich schlimmer vorgestellt. (lacht) 

Ich: Das freut mich zu hören. Also, berichte doch vielleicht kurz, wie das Praktikum so abgelaufen ist.  

Früheres Ich: Die ersten paar Wochen habe ich mich mit allem vertraut gemacht. Mir wurden die Bibliothek, das Museum und die Programme (WiniBW[1] und ACQ[2]) gezeigt, mit denen ich arbeiten sollte. Als es zeittechnisch Halbzeit schlug hatte ich eine Projektidee und damit angefangen, diese umzusetzen. Fast gleichzeitig kam die Aufgabe der Revision[3] dazu. Bis zum Ende hin hatte ich mich mit dem Projekt, der Revision und ab und zu mit dem Bearbeiten von Spenden beschäftigt. Manchmal gab es noch kleinere Ausflüge zu den anderen Museumsbibliotheken und spontane Aufgaben. Das ist jetzt sehr komprimiert zusammengefasst.  

Ich: Freut mich zu hören, dass du doch noch ein Projekt gefunden hast. Gab es nicht noch ein zweites? 

Früheres Ich: Doch, ich sollte versuchen, ein Lastenheft zu erstellen für die Retrokatalogisierung der Sonderbestände. Das war jedoch schwieriger als zuerst gedacht. Daher wurde das Projekt über Bord geworfen. 

Ich: Ach ja, stimmt, ich erinnere mich. Und das andere Projekt hat aber geklappt, oder? Was war das denn nochmal? 

Früheres Ich: Das zweite hat meiner Meinung nach nur zu 80 % geklappt. Ich war wahrscheinlich zu überambitioniert. Beim zweiten Projekt ging es darum, eine digitale Bibliotheksführung mit der Actionbound-App zu erstellen. Am Ende war ich dann so weit, dass ich eine Führung erstellt hatte, der nächste Schritt wäre gewesen, dass das Produkt in die Kontrolle geht und von den Leitungen abgesegnet und korrigiert wird. Daraufhin hätte man eine Lizenz erwerben müssen – die App ist für Einrichtungen nämlich nicht kostenlos, für Privatpersonen schon –, bevor man sie veröffentlichen kann. Aber so weit bin ich nicht mehr gekommen. ☹

Ich: Das ist aber schade, aber immerhin war das Erstellen der Führung ja bestimmt auch schon eine große Hilfe für die Mitarbeiter*innen. Du hast erwähnt, dass es auch noch Ausflüge gab, wo warst du denn alles?  

Früheres Ich: Also, da ich nicht die Einzige in einer Museumsbibliothek war, hatte man die Idee, sich gegenseitig zu besuchen. Dann sind noch drei weitere Einrichtungen dazugekommen, bei denen keine Praktikant*innen waren, die sich einfach so bereit erklärt haben, uns die Bibliothek zu zeigen. Die Besuche haben im MARKK angefangen, dann kamen das Altonaer Museum, das Museum für Hamburgische Geschichte, das Denkmalschutzamt, die Gedenkstätte Neuengamme, das Archäologische Museum und die Hamburger Kunsthalle hinzu. Außerdem war ich noch zwei Tage in der Unibibliothek für den Fachbereich Kulturwissenschaften, um das Ausleihsystem kennenzulernen. Und als Abschluss des Praktikums wurde noch eine kleine Fotoarchiv-Führung organisiert, die ich mit den anderen Mitarbeiterinnen aus der Bibliothek besucht habe.   

Ich: Oh, das klingt ja aufregend, hat bestimmt Spaß gemacht, oder?  

Früheres Ich: Das hat definitiv Spaß gemacht. Es war toll, die Möglichkeit zu haben, verschiedene Museumsbibliotheken und deren Museen und Ausstellungen zu besuchen. Auch witzig, dass man da dann zum ersten Mal die anderen Kommilitonen getroffen und auch Hamburg etwas besser kennen gelernt hat.  

Ich: Klar, wenn man zugezogen ist, dann war das bestimmt hilfreich, um sich besser in der Stadt zurechtfinden zu können. Was waren denn die spontaneren Aufgaben, die du erledigt hast?  

Früheres Ich: Ab und zu waren es Botengänge (Bücher zur Stabi zurückbringen, Arbeiten zum Buchbinder bringen), dann habe ich manchmal auch Lieferungen am Eingang abgeholt und in die Bibliothek gebracht und einmal dabei geholfen, eine Buchspende abzuholen und zu transportieren. An der Ausleihe habe ich nicht so oft gesessen, da die studentische Hilfskraft fast immer da war. Ab und zu kam es auch vor, dass Besucher*innen im Voraus gefragt haben, ob man die Bücher schon zusammensuchen kann, das habe ich dann übernommen.  

Ich: Ist dir denn während dem Praktikum etwas Ungewöhnliches passiert? Beziehungsweise, an was wirst du dich noch eine Weile lang erinnern? 

Früheres Ich: Oh je, an eine Sache erinnere ich mich noch ganz genau… An dem Dienstag war ich alleine in der Bibliothek (jede zweite Woche war das so, da alle Teilzeit arbeiten und es dann halt vorkommt, dass nicht immer alle da sind, bis auf Donnerstag), und plötzlich hat das Telefon geklingelt und die Dame am Empfang sagte mir, ein Besucher würde der Bibliothek gerne Bücher schenken. Obwohl ich mehrmals betont hatte, der Mitarbeiterin des Museums und dem Besucher, dass es mir als Praktikantin nicht erlaubt ist, Spenden bzw. Schenkungen anzunehmen, ließ es sich nicht vermeiden, dass ich am Ende die Bücher doch angenommen habe. (Natürlich, nachdem er mir erklärt und gezeigt hat, um was für Bücher es sich handelt und ich ihm auch erklärt habe, wie wir Spenden und Geschenke behandeln und welchen Unterschied es dazwischen gibt). Ich hatte echt Angst, dass ich Ärger bekomme, aber das war dann gar nicht nötig, und mir wurde auch gesagt, dass ich in dem Moment richtig gehandelt habe.  

Ich: Das klingt nach einer sehr stressigen Situation. Gut, dass du keinen Ärger bekommen hast. Meine abschließenden Fragen wären folgende: Hast du etwas dazugelernt? Konntest du zu einer Erkenntnis kommen, ob wissenschaftliche Bibliotheken das Richtige für dich sind? 

Früheres Ich: Dazugelernt habe ich ganz viel, und mein Wunsch, die Datenbank genauer kennenzulernen, ist auch in Erfüllung gegangen. Die Kollegen waren nett und freundlich, und ich habe jetzt auch eine Vorstellung wie es ist, in einer Bibliothek zu arbeiten. Ich konnte tatsächlich zu einer Erkenntnis kommen. Und zwar, dass ich doch noch gerne in eine öffentliche Bibliothek gehen würde, um dort mal zu schauen, wie es so abläuft. Das klingt sogar für mich verrückt, wenn ich es so ausspreche, aber ist dennoch so. 

Ich habe einfach während des Praktikums gemerkt, dass es mir manchmal zu still war. Man hat eigentlich nur vor sich hingearbeitet, da wenige Besucher*innen kamen. Aber da ja auch während des Praktikums noch Corona war, liegt das wahrscheinlich daran. Ich denke, ich brauche einfach eine etwas lautere und lockerere Umgebung. Sehr oft habe ich mich auch nach dem Sinn meiner Tätigkeit gefragt und war am Zweifeln, ob das Berufsfeld überhaupt das richtige ist, aber das sind halt die Standard-Sorgen, die wahrscheinlich jeder Studierende hat.  

Nichtsdestotrotz war das Praktikum eine lehrreiche Erfahrung; und für Museumsbibliotheken spricht, dass man mit alten Beständen arbeiten kann und jeden Bereich kennenlernt.  

Ich: Okay, ja zu dem Schluss bin ich auch gekommen, vielen Dank für das Interview es hat mich riesig gefreut!


 

[1] Katalogisierungsdatenbank

[2] Erwerbungstool

[3] Regelmäßige Kontrolle des Bestandes auf Schäden, Aktualität (des Datensatzes), Lesbarkeit der Signatur, Vermisste Bücher etc.

Lehrreich in vielerlei Hinsicht: Mein Praktikum beim Zwischenbuchhandel Libri

Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Büchern und Daten: Das Barsortiment

Von Nele Ahrens

Eigenverantwortung 

Mein Praktikum absolvierte ich am Hamburger Verwaltungsstandort des Barsortiments Libri. Während des Praktikums bekam ich häufig Aufgaben, die ich in einem bestimmten Zeitraum eigenständig bearbeiten sollte. Dabei ist es wichtig, früh genug anzufangen, sodass man nicht einen Tag vor der Deadline dasteht und sich fragt, wie man diese Aufgabe eigentlich bewältigen soll. Außerdem muss einem klar sein, dass man Verantwortung trägt und die Aufgabe so gewissenhaft bearbeitet, dass man am Ende sagen kann: Ja, das habe ich gemacht. Es erinnert einen niemand mehr daran, dass man zum Beispiel eine Krankmeldung abgeben oder eine Mail beantworten muss. Am Anfang hat es mir sehr geholfen, Sachen, die wichtig waren oder die ich nicht vergessen durfte, aufzuschreiben. 

 

Zeitmanagement 

Termine, Termine, Termine. Meine erste Erkenntnis war vermutlich, dass ich ohne Kalender aufgeschmissen wäre. Neben Meetings und Workshops alle Aufgaben rechtzeitig zu bearbeiten war manchmal nicht so einfach. Am besten entwickelt man einen Tagesablauf, der immer ähnlich ist, sodass man nicht ständig zwischen Aufgaben hin und herwechselt und noch nebenbei Mails beantwortet. Am produktivsten ist man eben doch, wenn man sich ohne Ablenkung über einen längeren Zeitraum mit einem Thema auseinandersetzt. Da mein Praktikumsprojekt so umfangreich war, war wohl die größte Herausforderung das Zeitmanagement. Deshalb habe ich mein Projekt in vier größere Abschnitte unterteilt und mir hierfür selbst Deadlines gesetzt. Ich habe mir immer vorgenommen, mindestens eine Woche früher fertig zu sein, falls noch Fragen aufkommen oder etwas anderes dazwischenkommt. Außerdem habe ich mir häufig auch Tagesziele gesetzt, um nicht den Anschluss zu verlieren und mich etwas sicherer zu fühlen. Ich würde auf jeden Fall jeder und jedem empfehlen, nicht einfach ins Blaue hinein zu arbeiten, sondern sich Ziele zu setzen und am Ende auch stolz darauf zu sein, was man geschafft hat. 

 

Mut 

Ich musste während meines Praktikums sehr oft über meinen eigenen Schatten springen. Zum Beispiel musste ich häufig Präsentationen halten oder meine Arbeitsergebnisse präsentieren und neue Leute ansprechen. Zum Glück gilt auch hier: Je öfter man es macht, desto einfacher wird es. Außerdem habe ich sehr schnell gelernt alle möglichen Fragen zu stellen. Häufig denkt man selbst, dass eine Frage dumm sei, aber am Ende muss man sie stellen, wenn man sonst nicht weiterarbeiten kann. Je weiter mein Praktikum fortschritt, desto mehr habe ich mich auch getraut, eigene Ideen und Vorschläge einzubringen. Da jede*r mit der eigenen Arbeit beschäftigt ist, muss man manchmal einfach fragen, ob jemand einem etwas erklären kann. Ich konnte zum Beispiel auch viel lernen, wenn jemand mir schlicht gezeigt hat, was er oder sie gerade macht. 

 

Fachkenntnis 

Libri wurde 1928 gegründet. Man kann sich gut vorstellen, dass es teilweise nicht einfach ist, nachzuvollziehen, wie Prozesse und Programme sich seitdem entwickelt haben. Auch wenn es lange gedauert hat, habe ich mich in die Programme eingearbeitet und viel über das Unternehmen gelernt. Ich war sehr überrascht, wie viele unterschiedliche Abteilungen und Prozesse es in so einem Unternehmen gibt, und es war teilweise schwierig, die Zusammenhänge zu verstehen. Trotzdem habe ich sehr viel gelernt: über Metadaten, Klassifizierungen, den Buchmarkt, Kataloge, Datentransfer und alle möglichen Prozesse im Zwischenbuchhandel. Ich konnte sogar miterleben, wie ein neues Produktinformationsmanagementsystem entwickelt wurde. Besonders begeistern konnte ich mich dafür, wie Libris neues Bestellsystem für den Buchhandel „Quimus“ funktioniert und wie viel Arbeit dahintersteckt. 

 

Berufsleben 

Als erster Einstieg in die Berufswelt war Libri meiner Meinung nach gut geeignet. Im Nachhinein habe ich aber festgestellt, dass ich mein Praxissemester gerne auf zwei Praktikumsstellen aufgeteilt hätte, da mir schnell klar war, wie der Arbeitsalltag bei Libri aussieht, und ich gerne noch einen Vergleich gehabt hätte. Im Praktikum konnte ich dennoch viel darüber lernen, wie ich gerne arbeite und was mir wichtig ist. Außerdem konnte ich bereits Kontakte knüpfen und mir wurde eine Stelle als Werkstudentin bei Libri angeboten. 

Bibliotheken in 50 Jahren – Eine Science-Fiction-Geschichte

Bibliotheken in 50 Jahren – Eine Science-Fiction-Geschichte

Von Michael Haring

2072

Erik betrat das Gebäude und sog die kühle Luft ein, die ihm entgegenschlug. An diesen heißen Sommertagen kamen ihm die Ausflüge in die Bibliothek seiner Stadt besonders gelegen, waren die Räume doch immer gut klimatisiert. Er war mal wieder auf der Suche nach Informationen für sein Studium, wie so häufig in diesem Semester. Mit einem freundlichen, aber kurzen Nicken ging er an der Empfangsdame vorbei. Er kannte seinen Weg. Im letzten Semester hatte er noch den Fehler gemacht, eher auf gut Glück in der Bibliothek auf der Suche nach einem Arbeitsplatz vorbeizuschauen. Oftmals blieben ihm dann nur die billigen Plätze auf dem Fußboden, weil die Arbeitsräume der Bibliothek bei Studierenden wie Erwerbstätigen heiß begehrt und häufig schon lange im Voraus ausgebucht waren. Menschen kamen hierher, nicht nur um Informationen zu beziehen, oder Medien auszuleihen, sondern auch um zu arbeiten, wenn das Unternehmen für den eigenen Arbeitsplatz aufgrund zu hoher Mietpreise keine Notwendigkeit mehr sah. Für den einfachen Angestellten blieb dann nur die eigene Wohnung, die aufgrund besagter Mietpreise bestenfalls Sarg-groß war und wenig Raum zum Arbeiten ließ, oder eben eines der öffentlichen Angebote wie hier in der Bibliothek. Erik hatte schon ein etwas schlechtes Gewissen dabei, jemandem diesen Platz streitig zu machen, aber auch er musste als einfacher Student zusehen, wo er blieb. 

Er folgte den Fluren vom Eingang weg, an dem Café und dem eher lauten Community Space der Bibliothek vorbei in Richtung seines ruhigen Arbeitszimmers. Heute würde er kaum Zeit dazu haben, sich mit seinem Reader noch ins Café zu setzen und mit den vielen Besuchern ins Gespräch zu kommen, die den Community Space der Bibliothek vor allem als sozialen Treffpunkt für Freunde, Kollegen und Bekannte nutzten. Heute musste er produktiv werden, wenn er den Termin für seine Hausarbeit einhalten wollte. 

Endlich hatte er seinen Raum erreicht und blieb vor der verschlossenen Tür kurz stehen, um dem Retinascanner Zeit zu geben, seine Identität zu bestätigen. In neueren Gebäuden lief so etwas normalerweise schon ohne Wartezeit ab; sobald man es betrat, wurde man fortan durch das gesamte Haus von Kameras und Sensoren getrackt und erhielt Zugang und Zugriff, wo auch immer man eine Freigabe hatte. Die Bibliothek war aber nicht ganz so modern ausgestattet. Erik vermutete dahinter Einsparungen, wie sie so oft im öffentlichen Raum vorgenommen werden mussten. 

Nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatten, ging die Tür vor ihm endlich mit einem leisen Surren auf und eröffnete den Blick auf einen fensterlosen Raum, in dessen Mitte lediglich ein frei drehbarer Sessel als einziges Möbelstück stand. Erik trat ein, die Tür ging hinter ihm mit einem erneuten Surren wieder zu und für einen kurzen Moment schien der Raum in Dunkelheit zu versinken, bevor die nackten Wände mit einem Flackern zum Leben erwachten und mehrere, auf ihnen projizierte Texte, Videos und Bilder sichtbar wurden. Eine sanfte Stimme erklang, mit der Erik sehr vertraut war.  

„Hallo, Erik. Schön, dass du uns wieder besuchst. Seit deinem letzten Aufenthalt sind drei neue wissenschaftliche Publikationen zu deinem favorisierten Thema ‚Robotikethik‘ erschienen. Würdest du sie gerne jetzt gleich lesen oder lieber später?“  

„Später, LibriOS, danke.“ Erik war bewusst, dass er sich nicht bei einer KI zu bedanken brauchte, aber er war zu Höflichkeit erzogen worden, die sich nicht nur auf Menschen beschränkt. Nur eines der heutzutage viel diskutierten Themen im Umgang mit Robotern und künstlicher Intelligenz. LibriOS war so eine künstliche Intelligenz. Er bildete eine Schnittstelle zwischen den Nutzern und Nutzerinnen der Bibliothek und deren enormen Datenbanken. Das meiste Wissen in Bibliotheken findet man mittlerweile nur noch digital. Gedruckte Werke sucht man meist vergebens und findet sie am ehesten noch in Archiven. 

Erik griff in seine Jackentasche und zog seine Brille heraus. Die Kontrollleuchte des Bügels blinkte ein paar Mal kurz auf, dann hatte sie sich mit LibriOS erfolgreich verbunden. Erik setzte die Brille auf, und neben den vielen Anzeigen an den Wänden gesellten sich nun auch dreidimensionale Diagramme in der Mitte des Raumes dazu, sowie eine schlanke Gestalt in der hinteren Ecke: LibriOS, oder zumindest der Avatar, den Erik für ihn eingerichtet hatte. Jetzt, da die Augmented-Reality-Funktion seiner Brille aktiviert war, wischte er mit ein paar schnellen Handbewegungen das Hologramm vor ihm und einige der Texte an den Wänden fort und schaffte so Platz für seine neue Recherche. Er benutzte immer noch eine Brille, wie sie schon seine Eltern zu Studienzeiten nutzten, obwohl es bereits fortgeschrittenere Modelle gab, die auch als Kontaktlinsten getragen werden konnten. Als Student konnte er sich diese aber nicht leisten. Sein Geld reichte nicht einmal für eine eigene Brille. Er war auf die Ausleihe der Bibliothek angewiesen, die nicht nur Zugang zu Informationen bot, sondern auch technische Geräte, die für das alltägliche Leben heutzutage unabdingbar waren. So wie ihm ging es vielen. Kaum jemand, den er kannte, konnte sich noch Neuware leisten und der Second-Hand-Markt war fast genauso unerschwinglich. Den Geräten, die für Menschen wie ihn noch übrigblieben, sah man an, dass sie durch viele Hände gegangen waren. Daran, sich eine mehrfachgebrauchte Kontaktlinse einzusetzen, wollte er lieber nicht denken. 

Erik wandte sich wieder LibriOS zu. „Heute suche ich nach Informationen zu einem neuen Thema für eine Hausarbeit. Es geht um Arbeitsrecht kybernetisch veränderter Menschen.“ Ein weiteres heißdiskutiertes Thema dieser Tage. 

„Ich suche.“ erwiderte LibriOS. „Ich habe 20.374 Treffer in unserer Datenbank gefunden. Möchtest du deine Suche eingrenzen?“ 

„Ich interessiere mich speziell für Regelungen zur Elternzeit.“ 

„Deine erweiterte Suche ergab leider keinen Treffer, allerdings habe ich unter dem verwandten Suchbegriff ‚Urlaubsanspruch‘ 23 Treffer gefunden. Möchtest du sie sehen?“ 

„Bitte gib mir eine Zusammenfassung, worum es in diesen Texten geht.“ 

Erik hörte konzentriert zu, als LibriOS seiner Bitte nachkam. „Moment, was versteht man unter translokalen Neuroschnittstellen?“ LibriOS lieferte ihm augenblicklich eine Definition samt Quelle: eine oft zitierte Professorin, mit deren Arbeit Erik bereits einige Male zu tun hatte. „Das klingt schon mal nicht schlecht. Bitte stelle mir ein Dossier mit den fünf meistzitierten Texten der letzten drei Jahre zu diesem Thema zusammen.“ 

Nach wenigen Sekunden antwortete LibriOS. „Ich habe das Dossier erstellt und dir geschickt. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ 

Erik nahm am Rande seines Sichtbereiches das sanfte Blinken der Kontrollleuchte seiner Brille wahr und wusste, dass die Übertragung erfolgreich abgeschlossen worden war. „Danke, LibriOS, das wäre alles für heute. Wenn ich Zeit habe, komme ich diese Woche noch einmal vorbei. Halte bitte ein Auge offen für weitere Publikationen, die für das Thema interessant sein könnten.“ 

„Wird gemacht. Vielen Dank für deinen Besuch, Erik. Ich wünsche dir einen angenehmen Tag.“ 

Mit den letzten Worten der KI erloschen nach und nach die Anzeigen und Projektionen im Raum. Erik nahm seine Brille ab, verstaute sie in seiner Brusttasche und wandte sich zum Gehen. Die Tür öffnete sich vor ihm wieder mit einem leisen Surren und er trat zurück auf den menschenleeren Gang. Er überlegte, wie er die nächste Stunde noch nutzen würde, bevor er wieder zu Hause sein musste. Vielleicht könnte er doch noch einmal kurz ins Café schauen, um zu sehen, ob er nicht das eine oder andere bekannte Gesicht entdeckte.  

Halb gedankenversunken hätte Erik den brusthohen Roboter fast nicht bemerkt, der gerade auf dem Gang hinter einer Tür verschwand. Erik wusste, dass dem Anschein zum Trotz immer noch Roboter in der Bibliothek beschäftigt wurden, wenn auch eher hinter den Kulissen, beim Aufräumen zum Beispiel, oder als Assistenz für die Beschäftigten. Die Besucher sollen davon so wenig wie möglich mitbekommen, weil robotische Arbeitskräfte dieser Tage nicht mehr den besten Ruf genossen. Diesem Exemplar konnte man ansehen, dass es eine unschöne Begegnung mit jemanden gehabt haben musste. Das Graffiti und die Dellen am Torso waren immer noch sichtbar, auch wenn Erik die Schmiererei nicht entziffern konnte. Seit Wochen kam es immer wieder auf dem ganzen Kontinent zu Großdemonstrationen gegen die geplanten Reformen im Arbeitsrecht, was vielen Menschen zugunsten von Robotern und kybernetisch verbesserten Personen den Job kosten könnte. Nicht selten war es dabei gewaltsam zugegangen und auch heute Nacht wurde wieder mit Ausschreitungen gerechnet. Erik wollte definitiv zuhause sein, bevor die Hölle losbrach. 

„Suchen Sie sich doch was Spannenderes“ – Praktikumsplatzsuche während Corona

„Suchen Sie sich doch was Spannenderes“ – Praktikumsplatzsuche während Corona

Von Ivonne Böttger

Ein Praktikum im dritten Fachsemester – das war mir schon vor dem Studienstart klar. Immerhin tauchte es im Modulhandbuch auf. Doch wo ich es absolvieren sollte, das war die große Frage. Vor allem, da ich nicht unbedingt in eine Bibliothek wollte. Und überhaupt, sich schon im ersten Semester mit dem Praktikum zu beschäftigen, da haben doch die ganzen neuen Eindrücke Vorrang: Neu an einer Hochschule ankommen und dazu die anderen Studierenden (mit wenigen Ausnahmen) nur virtuell sehen. Sich mit Online-Plattformen und den Eigenheiten der Lehrpersonen herumschlagen, die genauso mit der Technik zu kämpfen haben – und schon rücken die Gedanken an das Praktikum in weite Ferne. Vielleicht wird es auch in ein späteres Semester verschoben aufgrund von Corona? 

Doch spätestens mit den Infoveranstaltungen zum Praktikum wurde klar, dass dem nicht so war. Viele Fragen kamen auf – wo kann ich mein Praktikum überhaupt absolvieren? Ist es möglich, eine Stelle während der Pandemie zu finden? Und wenn ja, muss das Praktikum vielleicht wegen Corona abgebrochen werden? 

Die Veranstaltungen lieferten eine Flut von Informationen, aber gaben auch erste Anreize. Das Praktikum muss nicht in einer Bibliothek absolviert werden. Immerhin. Eine öffentliche Bibliothek wäre ohnehin nichts für mich. Kundschaft kann anstrengend sein, das haben meine kurzen Ausflüge in die Arbeitswelt bewiesen. 

Eine wissenschaftliche Bibliothek käme schon eher infrage oder doch lieber ein Archiv? War nicht sogar in einem Praktikumsbericht von einem Verlag die Rede? 

Während es in der Infoveranstaltung im Dezember 2020 heißt, dass man sich noch etwas Zeit nehmen kann, war ich schon dabei, mich zu bewerben. Anfang Januar 2021 kamen dann die ersten Absagen. Die Plätze waren bereits vergeben, jemand war schneller gewesen. Zwei bis drei Monate, nachdem das erste Semester begonnen hatte. Großartig. 

Also mussten andere Stellen her. Vielleicht schreiben die Einrichtungen auch gerade keine aus? Ich wühlte mich durch die Praktikumsberichte und schrieb so viele Bibliotheken an, wie ich im Hamburger Bibliotheksführer finden konnte, so dass ich komplett vergaß, mit wie vielen Einrichtungen ich den Kontakt bereits gesucht hatte. 

Einige sagten sofort ab, auch der Arbeitgeber meiner Nebentätigkeit, bei dem sonst ein Praktikum möglich gewesen wäre. Grund: Corona. Andere konnten noch keine genauen Auskünfte geben. Warum? Wer hätte es gedacht: Corona. Von den meisten hörte ich jedoch nichts. Ein Vorstellungsgespräch gab es, ohne Erfolg. Jemand anderes hatte die besseren Karten. Und dann kam eine E-Mail. Formlos, kaum drei Zeilen. Rufen Sie mich bitte einmal an. Immerhin waren die Kontaktdaten in der Signatur zu finden. Hatte meine Suche tatsächlich ein Ende? 

Ich hasse telefonieren. Ich kann mir nicht die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was ich sagen möchte. Dann dräut immer die Gefahr der Stille. Und ich kann mein Gegenüber nicht sehen. Dennoch rief ich an. Irgendetwas haben war zu diesem Zeitpunkt viel besser als gar nichts haben. Immerhin war es draußen schon richtig warm geworden. Nur noch wenige Wochen und die Vorlesungszeit des zweiten Semesters war vorbei. 

Am anderen Ende meldete sich die Stimme einer älteren Dame.  

Ich, in der Hoffnung, dass sie mich trotz Corona näher kennenlernen und mir einen Platz anbieten wollte, erklärte ihr, warum ich anrief. 

Doch statt mir zu sagen, worin denn meine Aufgaben als Praktikantin bestehen sollten, erzählte sie mir von ihrer Tätigkeit und wie eintönig diese doch sei. Über meinen Anruf schien sie sich zu freuen, denn offenbar war ich die erste Person seit Langem, mit der sie über ihren Job sprechen konnte. Wie konnte ich das Gespräch wieder beenden?  

Ich ließ sie reden, während sich mein Notizzettel mit Kugelschreiber-Kritzeleien füllte – bis sie endlich wieder auf mich und meine Absicht einging. Stimmt, da war ja noch meine Anfrage für einen Praktikumsplatz. 

„Sie sind noch jung. Suchen Sie sich doch etwas Spannenderes!“ 

Und da war sie. Nur für einen kurzen Moment, doch der reichte aus: Die Stille. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hörte dieser Frau zu, wie sie über ihren Job jammerte, und dann… das? Warum hatte sie sich eigentlich die Mühe gemacht, mir den Dreizeiler zu schicken? 

Ich versuchte mir irgendetwas aus den Fingern zu saugen. Warum hatte ich noch gleich diese Einrichtung angeschrieben? Was waren noch gleich meine Gründe gewesen? Ach ja, Hauptsache irgendeinen Praktikumsplatz finden. Aber das konnte ich ihr kaum erzählen. Stattdessen erwähnte ich, gern ein Praktikum in einer wissenschaftlichen Bibliothek absolvieren zu wollen – oder in einer Informationseinrichtung. 

„Haben Sie es schon bei den Verlagen versucht? In Hamburg gibt es so viele davon.“ Sie nannte ein paar Namen. Doch diese hatte ich alle bereits angeschrieben oder sogar schon Absagen bekommen. 

Nach einem weiteren Moment der Stille sagte sie schließlich: „Wenn Sie in ein paar Wochen immer noch nichts finden, können Sie sich noch einmal bei mir melden und wir finden schon was für Sie hier.“ 

Wir verabschiedeten uns und beendeten das Gespräch. Ich malte mir schon aus, wie sie dort in ihrem stillen Kämmerlein hockte und nichts anderes hatte als Bücher und weiteren Papierkram, der sich auf ihrem Schreibtisch stapelte, während sie gelangweilt vor dem Rechner saß und ins Leere starrte. Das würde sicherlich ein großartiges halbes Jahr Praktikum werden… Würde ich so enden wie diese Frau? 

Ich gab die Hoffnung nicht auf, und zwei Wochen später hatte ich endlich einen Termin für ein Vorstellungsgespräch. Über Skype, denn es war ja immer noch Corona. Also schnell noch im Zimmer herumrücken, was nicht im Hintergrund zu sehen sein soll. Statt einer Dame im dunklen Kämmerlein unterhielt ich mit zwei jungen Frauen, die begeistert von ihrer Arbeit im Verlag sprachen. Sie zeigten mir Bücher aus dem Verlagsprogramm und verschwiegen auch nicht, dass sich der kleine Verlag Herausforderungen stellen musste. 

Kurz nach dem Gespräch bekam ich die Zusage. Mein Praktikum konnte im Oktober starten. Nach monatelanger Suche neben dem üblichen Stress des zweiten Semesters stand also endlich fest, wo das Jahr 2021 für mich endete: In einem kleinen Verlag – und der Welt der Frakturschrift. 

In den Wochen danach kamen noch ein paar wenige Mails, die mir dann doch eine Stelle anboten. Allerdings nicht von Frau Suchen-Sie-sich-doch-etwas-Spannenderes, dafür von Bibliotheken.  

„Aufgrund des aktuellen Pandemieverlaufs haben wir uns dazu entschieden, Praktikumsplätze anzubieten. Haben Sie noch Interesse? Schicken Sie uns gern Ihre Bewerbungsunterlagen zu!“ 

Zum Glück musste ich das nun nicht mehr.

Informationsinsel

Informationsinsel 4

Von Sinah Sadlowski 

Heute ist wieder einer dieser Tage… Ein Tag, den ich am liebsten vergessen würde. In letzter Zeit häufen sich diese Tage. Ich kann gar nicht genau sagen, was im Moment los ist, aber ich habe das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wächst. Jeder Tag ist gleich. Ich stehe früh auf, frühstücke und fahre zur Arbeit. Dort gibt es so viel zu tun, dass ich nachmittags nicht mehr viel zustande bringe, außer etwas einzukaufen und mir eine Kleinigkeit zu essen zu machen. Abends setze ich mich vor den Fernseher, schlafe aber schon nach zehn Minuten vor Erschöpfung ein. Gegen Mitternacht schleppe ich mich ins Bett und versuche, noch etwas Schlaf zu bekommen. Um vier Uhr fängt das Ganze wieder von vorne an. Jeden Tag. Immer das Gleiche. Ich kann nicht mehr.  

Am liebsten würde ich im Bett bleiben und mir die Decke über den Kopf ziehen. Und dann würde ich flüchten. Flüchten in eine andere Welt. Mich von Lucinda Riley oder Jojo Moyes in eine unbekannte Welt entführen lassen, in der meine Sorgen nicht existieren. Ich würde mich der Fantasie hingeben, dass perfekte Welten existieren. Vielleicht wäre ich in dieser Welt Entdeckerin oder Sportlerin. Oder vielleicht finde ich die große Liebe? Meine Möglichkeiten sind unendlich.  

Wann habe ich mich eigentlich das letzte Mal fallengelassen? Das letzte Mal die Seele baumeln lassen? Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern. Viel zu lange befinde ich mich schon in dieser Lage. Unglücklich und fokussiert auf die falschen Dinge. Ich muss jetzt mal an mich denken. Das fiel mir schon immer schwer. Schon als Kind habe ich den anderen immer den Vortritt gelassen. Bin sofort von der Schaukel gesprungen, wenn ein anderes Kind darauf wollte oder habe meinen letzten Lolli abgegeben, weil mich meine Freundin darum gebeten hat. Als Erwachsene habe ich mich nicht viel verändert. Viel zu oft gebe ich nach, erledige Aufgaben, für die ich eigentlich nicht zuständig bin und lasse mich zu Dingen überreden, die ich nicht tun möchte. Damit muss jetzt Schluss sein. Ich muss jetzt wirklich mal an mich denken. Doch wie fange ich an? Wie mache ich mich für mich selbst stark? Ich muss in kleinen Schritten anfangen. Aber wo? Wo und vor allem wie fängt man ein neues Leben an? Ich bin jetzt schon überfordert von all den Möglichkeiten, die sich mir bieten. Bisher habe ich immer das Gleiche gesagt und getan. Tag für Tag. Wie komme ich aus diesem endlosen eintönigen Kreis wieder heraus? Moment, habe ich nicht erst heute Morgen von diesem einen Ort gehört? Dem Ort, an dem Wissen lagert? An dem man sich über alles und jeden informieren kann? Dort finde ich sicher die Antworten auf meine Fragen. Dort muss es einen Hinweis darauf geben, wie man neu anfängt. Aber wie hieß der Ort noch? Wissensspeicher? Ort der Informationen? Nein, das war es nicht.  

Informationsinsel. Ja genau, es ist die Informationsinsel. Das klingt schon so super. Ich denke, dort werde ich fündig. Dort fange ich an zu suchen. Mein Entschluss steht fest. Ich werde auf die Informationsinsel reisen. Ich packe nur das Wichtigste, nämlich meinen Verstand und meine Fantasie. Und dann wird alles besser! Das weiß ich nun genau. Es wird besser. Ich werde es schaffen. Heute. Nicht Morgen. Nein, heute fange ich an.  

Informationseinrichtungen und was ein BIMie dort zu suchen hat

Informationseinrichtungen und was ein BIMie dort zu suchen hat

Von Anna Rudaev

Im Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement werden Expert*innen qualifiziert, die Informationssysteme und -architekturen für die Informationsversorgung von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gestalten und Teilhabe, Partizipation und Inklusion nach der Maxime des Lebenslangen Lernens fördern, steht auf der Website des Departments Information bei der Vorstellung unseres Studiengangs [1].

Hast du gewusst, dass es mittlerweile die – zugegeben nicht geschützte – Berufsbezeichnung des Information Broker gibt?  

Gab und gibt es bis dato die klassischen Berufe Bibliothekar*in, Dokumentar*in und Archivar*in, so werden von mittelständischen Unternehmen inzwischen auch die Dienste von Information Brokern in Anspruch genommen, hauptsächlich, um sich in der verfügbaren Informationsflut orientieren zu können. Sie übernehmen nicht nur das Information Retrieval im Internet, sondern filtern und strukturieren die Ergebnisse methodisch. Das Information Retrieval (auf Deutsch Informationsrückgewinnung) ist ein Verfahren der Informationswissenschaften zur gezielten Suchmaschinen- oder Datenbankrecherche und verfolgt klar definierte Methodiken. Da wir heutzutage ein exponentiell wachsendes Angebot an Wissen im Internet haben, können sich bei Laien Schwierigkeiten ergeben, wenn die Suche zu vage ist und der Umgang mit Datenbanken nicht beherrscht wird. Die Angebote eines Information Brokers gehen oft einher mit unterschiedlichen anderen Unternehmensdienstleistungen wie Beratungen und Schulungen. So wie das Berufsbild Coach erfordert das des Information Brokers keine spezielle Qualifikation in Form eines Diploms, sondern es sind vor allem die individuellen, einschlägigen Kenntnisse entscheidend. Es eignet sich dementsprechend gut für diejenigen, die sich den Karriereweg in einer Festanstellung nicht unbedingt vorstellen können und eher der Typ Freelancer sind.  

Sollte sich der eine oder die andere Kommiliton*in also dazu entscheiden, sich in der freien Wirtschaft selbständig zu machen, so ebnet unser Studium den Weg für das Berufsbild des Information Brokers. 

Ich hatte bereits zwei Semester das Fach Bibliotheks- und Informationswissenschaft hinter mir und sah meine persönlichen beruflichen Perspektiven nach wie vor in einer wissenschaftlichen Bibliothek – wo ich das neugierige Völkchen der Wissenschaftler*innen auf unterschiedliche Art und Weise unterstützen könnte, in einer öffentlichen Bibliothek – wo ich im städtischen oder Gemeindeleben mitmischen und die Bibliothek zu einem Lern-, Spaß- und Freizeitort mitgestalten könnte, oder in einer Informationseinrichtung. Dort konnte ich mir aber nur grob den Aufgabenbereich eines BIM-Absolventen vorstellen. Nämlich die Forschenden vielleicht durch Forschungsdatenmanagement oder Open-Access-Beratungen zu unterstützen. 

Wir alle kennen diese Situation auf Partys, in Bars oder bei ersten Dates. 

„Und du studierst? Was denn so?“ „Ja, Bibliotheks- und Informationsmanagement.“ „Ach, krass. Das gibt’s? Das habe ich ja noch nie gehört. Wow, was es heutzutage nicht alles gibt, wa? Und was genau machst du da? Was lernt ihr da?“ „Alles Mögliche“, sage ich dann immer halb genervt. „Von IT bis Informationsmanagement, Controlling und auch Personalführung. Wir haben viel Wissensstrukturierung zugespitzt auf bibliothekarische Systematiken, können aber auch vertiefen in Forschungsunterstützung und lernen dann viel übers Publizieren und das deutsche Wissenschaftssystem.  Wer Lust hat, kann aber auch in die Bibliothekspädagogik gehen, es ist wirklich alles dabei.“ Wenn ich mein Gegenüber mag und weiß, er oder sie versteht Sarkasmus, füge ich oft lachend hinzu: „Es ist nichts Halbes und nichts Ganzes, aber wer in diesem Studium noch lost ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Es ist für jeden was dabei, außer natürlich, man interessiert sich so gar nicht für Informationen.“ 

Im dritten Semester habe ich in einer sogenannten Informationseinrichtung mein Praktikum absolviert. Ich habe in einem außeruniversitären Forschungsinstitut zwar viele typische Praktikantentätigkeiten erledigt, aber habe oft in einen Nebensatz gehört. „Ja, so relevant ist es für dich wohl nicht.“  

Dabei fand ich schon, dass es sehr relevant war. Hier ein Beispiel: 

Ich war bei der Erstellung der Soll-Ist-Berichte behilflich und habe den Output unserer Forschenden anhand verschiedener Kriterien in Kenngrößen für den Schlussbericht aufbereitet. Die Grundsätze dieser Arbeit, die in dem Haus die Referentin für wissenschaftliches Controlling übernimmt, habe ich im nächsten Fach-Semester an der HAW Hamburg im Modul Informationscontrolling gelernt.  

Ein weiteres Beispiel:  

Ich war eng in die Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit eingebunden, so auch beim Auftakt des Website-Relaunches. Wir werden in diesem Studium sicher keine Spezialist*innen für IT, dennoch haben meine Kenntnisse aus IT 1 und 2 sowie Datenbanken 1 und 2 viel zu den Meetings intern und denen mit den Agenturen beigetragen [2].

Schau dich gerne in den diversen Projekten und Berichten um, die weitere BIMies in Informationseinrichtungen gemacht haben und lass dich inspirieren. Unsere Zukunft sieht als Berufsfeld eben nicht nur Bibliotheken oder Archive vor.  

Die Zukunft steht uns offen. Selbst wenn wir Entrepreneure werden wollen. Nur Mut!  Es lohnt sich, Wege zu ergründen, die auf den ersten Blick nicht zu passen scheinen.  


[1] https://www.haw-hamburg.de/studienangebot/studiengaenge-detail/course/courses/show/bibliotheks-und-informationsmanagement/Studieninteressierte/ (letzter Abruf 19.06.2022)

[2] Hier wäre wohl zu beachten, dass ich mich im auslaufenden Jahrgang, also in der Studienordnung vor der Reform befand.

Hans und die Bibliothek der Zukunft

Von Fabian Boehlke

Hans saß in seinem Büro vor dem Laptop. Er war 66 Jahre alt. 66 Jahre und 301 Tage, um ganz genau zu sein. So sagte es die Strichliste in Hans‘ Kalender. 64 Tage noch, dann war sein 67. Geburtstag. Und dann konnte Hans endlich in den Ruhestand gehen. Das war gut so, denn er passte einfach nicht mehr in diese Zeit. Hans war nämlich Bibliothekar. Und der kahle, weiße und relativ kleine Raum, in dem sein Schreibtisch stand, war seine Bibliothek. An einer Stelle hing ein Bild, das Hans selbst einst mitgebracht hatte. In einer Ecke stand auf einem Tischchen seine Kaffeemaschine. Sonst gab es außer dem Schreibtisch und dem Bürostuhl nichts, nicht einmal einen Besucherstuhl. Aber wofür hätte Hans auch einen Besucherstuhl gebraucht? Besucher in den Bibliotheken gab es schon lange nicht mehr. Wozu auch? Die Bibliothek, die Hans als einzelner Mitarbeiter hier führte, war verbunden mit einem zentralen Server, der irgendwo in Deutschland stand. Der Digitalbestand des Servers konnte für das ganze Land genutzt werden. Die Nutzer griffen online von zu Hause darauf zu, nahezu alles lief automatisch. Fragen wurden längst von hochtechnischen Chatbots beantwortet. Hans‘ einzige Aufgabe bestand  darin, als menschliches Backup zu dienen, sollte irgendetwas nicht funktionieren, was aber so gut wie nie vorkam. Und auch diese Tätigkeit war nur noch von kurzer Dauer und beruhte auf den Klauseln seines Tarifvertrages im öffentlichen Dienst. Wenn Hans in guten anderthalb Monaten in den Ruhestand ging, würde ihm keiner mehr nachfolgen. Dieses Büro würde geschlossen werden und jede Menschlichkeit der vollautomatisierten und komplett digitalen Bibliothek weichen. 

Verträumt blickte Hans auf das einzige Bild in seinem Büro. Es zeigte ein Regal mit Büchern. Richtige und gedruckte Bücher aus Papier! Als Hans damals sein Bibliotheksstudium absolviert hatte, war er belächelt worden. Es sei ein Beruf ohne Zukunft. Wofür brauche man das denn noch? Physische Bibliotheken seien doch eh völlig überflüssig! Nicht lange danach war das Studienfach Bibliotheks- und Informationsmanagement an der Hochschule abgeschafft worden. Es gab mehr und mehr politische Beschlüsse, die Räumlichkeiten von Bibliotheken einzusparen. Den Kommunen und Bundesländern waren sie einfach zu teuer. Stattdessen setzte man voll und ganz auf E-Books und startete große Aktionen, um die vorhandenen Bestände zu digitalisieren. Die E-Books und Digitalisate sollten künftig deutschlandweit verwendbar sein, das sparte Kosten und Personal. Alles was gedruckt war, wurde nach dem Digitalisieren großzügig aussortiert, verkauft, verschenkt oder anderweitig verwertet.  

So war Hans einer der letzten Bibliothekare Deutschlands, und nicht lange nach ihm würde es diesen Berufsstand praktisch nicht mehr geben.  

In diesem Augenblick wurde Hans durch ein kurzes „Pling“ aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Eine E-Mail war eingegangen. Das kam nicht häufig vor. Eigentlich nur, wenn ein Nutzer wirklich verzweifelt war. Denn in der Regel waren die heutigen Chatbots mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in der Lage, fast alle Nachfragen problemorientiert und zielführend zu beantworten. Hans blickte in die E-Mail, aber anstatt einer sachlichen Anfrage erwartete ihn nur ein Wust an Beschimpfungen und unflätigen Beleidigungen. Von „Saftladen“ über „alle Bibliothekare sind Schweine“ bis hin zu „euch sollte man alle einsperren“ war alles dabei. Laut eigener Aussage war der besagte Herr „seit Stunden“ dabei zu versuchen, diesen einen Aufsatz herunterzuladen, aber immer wieder stürze das System ab. Hans kannte diese Art von Mails schon. Wo Bibliothekare in früheren Zeiten noch gefragt wurden, ob es zu diesem oder jenem Thema entsprechende Literatur gäbe, so war man jetzt nur noch die letzte Instanz, sollte die Technik komplett ausfallen. Und in diesem Stadium hatten die Nutzer üblicherweise schon alles probiert und waren in entsprechender Stimmung. E-Mails mit scharfem Unterton waren noch das netteste, was Hans zugeschickt bekam. Oft glichen die Nachrichten dem, was er heute bekommen hatte. In den meisten Fällen – und so war es auch diesmal – hatte es etwas mit technischen Problemen zu tun, die bei den Menschen selbst auftraten. Um ein Buch digital auszuleihen, mussten die Nutzer es im Katalog heraussuchen, auf „Ausleihe“ klicken und sich anschließend mithilfe der Smartwatch identifizieren. Und genau hier gab es immer wieder Probleme. Nicht selten war die W-Lan-Verbindung bei den Betreffenden zu Hause gestört, sodass die Verbindung zwischen Laptop und Smartwatch nicht zustande kam. Aber das herauszufinden, dazu war nicht jeder in der Lage. Und so schoben viele das lieber gleich auf die Bibliothek, das war einfacher und strengte den Geist nicht zu sehr an.  

Nachdem Hans die E-Mail – natürlich in sehr freundlichen Worten – beantwortet hatte, eine seiner wenigen Tätigkeiten, lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück und schloss die Augen. Wie schön waren doch die früheren Zeiten, als er noch ein junger Bibliothekar gewesen war. Seine Stadtteilbibliothek lag zentral am Marktplatz, nicht wie dieses sterile Büro, in dem er nun saß. Menschen gingen rein und raus. Es gab eine zentrale Auskunft und einen großen Lesesaal mit vielen Bücherregalen. In bunter Reihenfolge stand Buchrücken an Buchrücken. Es war möglich, die Bücher aus dem Regal zu ziehen, sie aufzuschlagen und das Papier zwischen den Buchdeckeln zu berühren. Beim Streichen über die Seiten war es feinen Händen möglich, die gedruckte Schrift zu erfühlen. Schon allein das Umräumen der Bücher brachte Spaß. Hans erinnerte sich an eine Situation an der Auskunft. Eine Nutzerin suchte ein Buch, einen dystopischen Roman. Bloß an den Titel könne sie sich nicht mehr erinnern. Im Gespräch am Auskunftstresen nannte sie ihm zahlreiche Details der Geschichte, während Hans auf seinem Computer die Katalogansicht aufgerufen hatte. In Frankreich spiele die Geschichte, es gab eine Präsidentschaftswahl, und der Ich-Erzähler habe immer über einen Autor philosophiert und zahlreiche seiner Zitate eingestreut. In diesem Falle konnte Hans sich sogar die Schlagwortsuche ersparen. Als begeisterter Leser brauchte es nicht viel, um auf den Titel „Unterwerfung“ des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq zu kommen. Eine kurze Katalogrecherche ergab, dass das Buch vorrätig und verfügbar war. Als zweites bat ihn die Nutzerin um ein passendes Buch zum Thema Stricken. Hier konnte Hans zwar nicht auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen, jedoch war die Anfrage kein Problem für den Schlagwortkatalog. In Nullkommanix spuckte ihm das System zahlreiche Tipps aus. Erst kürzlich war ein neues Standardwerk zum Thema erschienen, quasi die neue Strick-Bibel. Die einzige Einschränkung: das Buch war nicht in der Stadtteilbibliothek vorhanden. Bisher war es nicht beschafft worden und auf der Erwerbungsliste stand es auch nicht. Für den jungen Hans war das aber kein Hindernis. Ganz im Gegenteil. Es spornte den jungen Bibliothekar erst recht an. Die Lösung lag in der Fernleihe. Im System konnte er feststellen, welche Bibliotheken im Verbund das Buch bereits hatten. Aber trotz Beschaffung war das Buch vielerorts nicht direkt verfügbar. Oft gab es Vormerkungen und Vorbestellungen. Doch schließlich, nach über einer halben Stunde, hatte er eine Bibliothek ausfindig gemacht, über die er das Buch ordern konnte. Bereits nach wenigen Tagen konnte die Nutzerin ihr Strick-Buch in Hans‘ Bibliothek abholen. Als die Dame das Buch in den Händen hielt, sagte sie: „Vielen Dank junger Mann, durch ihre Arbeit und Mühe bringen Sie etwas Freude in meinen tristen Alltag.“ Es war das erste große Lob, das Hans in seinem Arbeitsleben erhalten hatte, weshalb es ihm auch lange, bis heute, im Gedächtnis geblieben war. 

Ein erneutes „Pling“ riss Hans abermals aus seinen Gedanken. Wieder war eine E-Mail eingegangen. Zwei E-Mails am selben Tag, dachte Hans, das war ja schon richtig arbeitsreich heute. Er öffnete die elektronische Nachricht und staunte nicht schlecht. Zunächst einmal war die Mail freundlich geschrieben. Sie begann mit „Sehr geehrtes Bibliotheksteam“. In der Betreffzeile stand „Anfrage/Roman“. Eine Nutzerin schrieb, dass sie dringend Hilfe dabei benötige, ein bestimmtes Buch zu finden. In dem Roman ginge es um das Schicksal einer Familie, in der der Vater an einem neuen Virus erkrankt, während gleichzeitig die gesellschaftlichen Gräben immer größer wurden. Die Absenderin schrieb, sie habe diese Handlung in einer Buchkritik gelesen, könne sich aber nicht an den Titel erinnern. Und von den Chatbots bekomme sie keine hilfreiche Antwort. Jedes Mal nach Stellen der Anfrage lieferte der Bot nur Empfehlungen für medizinische Sachbücher. Hans war vielleicht alt und die Technik hatte sich weiterentwickelt. Aber den Schlagwortkatalog bedienen, das konnte er noch immer, selbst wenn dieses Instrument eigentlich seit Jahren außer Dienst gestellt war. In weniger als zwei Minuten hatte Hans den richtigen Roman gefunden. Das Buch „Covid – Nichts wird mehr, wie es war“ war schon vor einigen Jahren erschienen, weshalb es auch mit dem alten Katalog auffindbar war. Bei dem Buchtitel musste Hans an die Vergangenheit denken. Die Geschichte des Romans spielte während der Corona-Krise, die damals die ganze Welt in Aufruhr versetzt hatte. Ende zwanzig musste er damals gewesen sein, also war es gute 40 Jahre her. Mehrere Jahre hatte das Virus die Welt beschäftigt. Es war auch Hans‘ Studienzeit gewesen. Die Bibliothekswelt war damals noch in Ordnung. Es war aber auch die Zeit, in der viele Entscheidungsträger feststellten, wie viel einfacher und billiger die digitale Technik doch war weshalb in der Folge alle gedruckten Bücher digitalisiert und anschließend aussortiert wurden. Neue Techniken wurden entwickelt, welche auch die bibliothekarischen Tätigkeiten ersetzen sollten. Inzwischen hatte Hans das PDF des Romans heruntergeladen – zumindest das konnte er noch tun – und schickte es der Nutzerin zu. Das war zwar nicht ganz der korrekte Weg, aber wer sollte sich da noch beschweren. Die neuen und angeblich so großartigen Möglichkeiten hatten immer wieder ihre Tücken. Vor Fehlern war auch die beste Technik nicht gefeit. Und auch nicht alle Menschen kamen gleichermaßen damit zurecht. Besonders ältere Menschen, wie Hans’ heutige Nutzerin hatten immer wieder Probleme damit. Noch war Hans da, um notfalls eingreifen zu können, sollte die Technik mal nicht funktionieren. Doch das war bald vorbei, dann würde die Bibliothek für immer leer bleiben. Reguläre Bibliothekare wurden nicht mehr ausgebildet, die letzten verbliebenen in Deutschland gingen, wie Hans, bald in den Ruhestand. Dann waren die Bibliotheken endgültig menschenleer.  

Die Nutzerin hatte geantwortet, nachdem Hans ihr das PDF zugeschickt hatte. „Vielen Dank für das Zusenden“, schrieb sie, „ich freue mich schon sehr auf die Lektüre. Ich erlebe im Alltag nur noch selten etwas und mit diesen neuen Bibliothekstechniken finde ich mich nicht zurecht. Leider gibt es nicht mehr viele Bibliothekare wie Sie. Vielen Dank nochmal!“ Wieder ging einer von Hans‘ Arbeitstagen zu Ende. Anders als sonst war es ein guter Tag. 

Die Sehnsucht von Büchern umgeben zu sein

Die Sehnsucht von Büchern umgeben zu sein

Von Lena Spieß

Er ist wieder zuhause. Zumindest körperlich. Der erste Abend, seit er von seinem Auslandspraktikum wieder zurück ist. Er kann immer noch nicht fassen, dass es wirklich schon vorbei ist. Felix bleibt unter einer Laterne stehen. Genau hier hat alles angefangen.  

In jener Nacht vor einigen Monaten war er gegen genau diese Laterne getreten. Sie wankte wie ein zu schnell eingestelltes Metronom. Das Licht flackerte und erlosch schließlich. Gerade hatte er noch in einem seichten Lichtkegel gestanden, jetzt umgab ihn die Dunkelheit der Nacht. Er blieb unter der erloschenen Laterne stehen und atmete die kalte Luft tief ein. Sie brannte in seiner Lunge. Der Schmerz ließ ihn für einen kurzen Augenblick alles vergessen.  

„Du musst was aus deinem Leben machen! Irgendwann musst du Geld verdienen.“ Die Stimme seines Vaters hallte in seinem Kopf wider. „Ich arbeite, seit ich 16 bin. Du musst irgendwann ein Mann werden. Wie willst du sonst mal eine Familie ernähren?“ Immer und immer wieder: Geld verdienen. Mann werden. Familie ernähren. Wie sollte er das jemals erreichen, wenn er seinen Platz noch gar nicht gefunden hatte? Wenn er nicht wusste, was er mit seinem Leben überhaupt anfangen sollte? 

Erneut trat er gegen die Laterne. In dieser Nacht beschloss Felix, zu fliehen. Egal wohin. Hauptsache weg. Und warum nicht jetzt? Jetzt, wenn er sowieso ein Praxissemester hatte. Weg von einem Zuhause, das sich nie wie eines angefühlt hatte. 

 

Inzwischen leuchtet die Laterne wieder. Und Felix wartet darunter auf seine beste Freundin.  

„Hey!“ Sie umarmt ihn zur Begrüßung. „Ich will jede Kleinigkeit wissen! Mein Sommer war so langweilig ohne dich.“ 

„Hey! Es ist so schön, dich endlich wieder live zu sehen und nicht nur auf einem Bildschirm.“ 

„Ja, ja, jetzt fang schon an! Was hast du erlebt? Wie war’s?“ 

„Am Anfang war’s echt schwierig…“, beginnt Felix zu erzählen. 

 

Warum hatte er nur gedacht, dass das eine gute Idee war? Er lief die O’Connell Street hinunter. Es regnete. Und die Menschen um ihn herum, die gerade noch lachten und fröhlich durcheinanderredeten, verloren ihre Farbe und wurden zu einer trüben, grauen Masse Am liebsten hätte er auf der Stelle angefangen zu weinen. Die Wahrheit war: Er fürchtete sich vor dem ersten Arbeitstag in der Bibliothek. Was erwartete ihn? Ob er als Praktikant überhaupt irgendeine Hilfe sein konnte? Was hatte er denn schon zu bieten?  Felix riss sich zusammen. Auf der O’Connell Bridge blieb er stehen und blickte stumm auf das Wasser, das unter ihm Richtung Irische See trieb. Durchatmen, Felix, sagte er immer wieder zu sich selbst. Eine Weile stand er einfach nur da, starrte auf das Wasser und ließ dieses Mantra durch seinen Kopf gehen. 

Es war früh am Morgen, als er vor der Bibliothek stand. Sein Herz pochte, als er die schwere, alte Holztür öffnete, die mit keltischen Schnitzereien verziert war. In dem kleinen Flur, der sich dahinter befand, stapelten sich endlos viele Bücher. Die Wände waren hinter Bücherregalen versteckt, die bis unter die Decke reichten. Neben der Garderobe stand eine fahrbare Leiter. Alles war aus Holz. Der Fußboden knarrte unter seinen Schritten. Niemand war zu hören oder zu sehen. Er blieb vor einer großen offenen Flügeltür stehen und spähte in den großen Raum, der sich dahinter verbarg. Die Dielen waren teilweise von alten Orientteppichen bedeckt. Wie im Flur erstreckten sich die Regale auch hier bis unter die Decke. Bücher reihten sich dicht and dicht, und es schien kein einziges mehr in ihnen Platz zu finden. Zwei Schreibtische waren vor die Fenster gequetscht 

 

„Guten Morgen. Wie kann ich helfen?“, ertönte eine Stimme hinter ihm und ließ ihn zusammenzucken. 

„Ich bin der Praktikant“, stammelte er.  

„Früh dran.“ Sie klang überrascht. 

Felix schwieg, also sprach die Dame weiter. 

„Ich bin Cianna Fitzpatrick. Aber du kannst mich ruhig Cianna nennen.“ 

„Felix.“ 

„Freut mich. Fionn, der Leiter der Bibliothek, kommt später. Er ist ganz umgänglich, wirst schon sehen. Ich zeig dir erstmal, wo du deine Sachen ablegen kannst und führ dich durch die Bibliothek. Dann sehen wir weiter.“ 

 

Felix versuchte, möglichst freundlich zu wirken. Doch sein Lächeln erreichte seine Augen nicht.  

Die Bibliothek war insgesamt nicht besonders groß. Sie war ebenso chaotisch und vollgestellt wie gemütlich. Felix liebte diese Art von Bibliotheken. Bibliotheken, in denen man sich noch wohlfühlen kann und ein Buch nicht nur ausleihen, sondern gleich lesen möchte. 

„Du kannst ja für den Anfang erstmal Signaturen auf die Karteikarten schreiben. Und wenn du darauf keine Lust mehr hast, dann kannst du diese Karteikaten alphabetisch sortieren.“ Cianna legte einen Karton mit Karteikarten auf den Schreibtisch, an dem Felix von jetzt an arbeiten sollte. 

„Aber du hast ja auch irgendwann andere Sachen gemacht. War da nicht diese Lesung? Warst du von der nicht richtig begeistert?“, unterbricht ihn seine beste Freundin. 

„Oh ja, das war ein lustiger Abend. Den werde ich so schnell nicht vergessen.“ 

 

Er schrieb gerade die Bücher, die am Morgen mit der Post gekommen waren, in das Neuzugangsbuch, als Fionn an seinen Schreibtisch trat.  

„Kommst du morgen Abend zur Lesung?“ 

„Das ist Arbeitszeit. Natürlich komm ich.“ 

„Du kannst auch einfach nur so kommen. Du musst nicht arbeiten.“ 

„Wenn ich eh da bin, kann ich auch helfen.“ 

„Willst du dann morgen später kommen oder zwischendrin länger Pause machen? Ich richte mich da ganz nach dir.“ 

 

Und so schlief Felix aus, kochte sich ein Frühstücksei und summte zu Springsteen und The Gaslight Anthem. Er suchte sich das schickste Outfit, dass er mitgenommen hatte. Dieses Mal, nach einem Blick aus dem Fenster, vergaß er auch den Regenschirm nicht. Doch selbst das unliebsame Wetter störte ihn inzwischen nicht mehr.  

Cianna und Fionn räumten schon die Tische zur Seite, als Felix die Bibliothek erreichte. 

„Felix? Hängst du noch die Plakate auf? Und wärst du so nett und kaufst noch zwei Flaschen Rotwein? Wir haben nur noch Weißwein da. Geld ist in der zweitobersten Schublade.“ 

„Mach ich!“ 

Und so war er den ganzen Nachmittag mit Vorbereitungen beschäftigt. Er durfte die Autorin vom Hotel abholen und ihr eine kleine Bibliotheksführung geben. Dann begann die Veranstaltung. 

„Sehr verehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie so zahlreich zu der heutigen Lesung erschienen sind. Natürlich freuen wir uns auch, dass Frau Montgomery heute aus ihrem neuen Roman liest. Erlauben Sie mir noch kurz, unserem Praktikanten Felix zu danken, der diesen Abend so wundervoll vorbereitet hat.“ Felix lief leicht rot an und blickte zu Boden. 

Ungefähr nach der Hälfte der Lesung ging Felix in einen Nebenraum, um zusammen mit Cianna das Buffet aufzubauen und die Gläser aufzureihen. Sie waren gerade fertig, als alle klatschten und Fionn zum geselligen Teil des Abends überleitete. Felix stellte sich neben die Gläserreihen. 

„Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?“ Eine ältere Frau war auf ihn zugekommen.  

„Gerne. Weiß, bitte. Und Sie haben das alles organisiert?“ 

„Ja, das war Teil meines Praktikums.“ 

„Das haben Sie sehr gut gemacht!“ 

„Dankeschön.“ 

Nachdem alle Gäste bedient waren, nahm auch er sich ein Glas Wein und mischte sich unter die Menschen. Um 22 Uhr baten Fionn und Cianna die restlichen Gäste höflich, aber bestimmt zu gehen und beschlossen, am nächsten Morgen aufzuräumen. Felix wankte ganz leicht, als er zur Tür hinaustrat. 

„Felix, wo musst du hin?“, fragte Cianna. 

„Zur O’Connell Street.“ 

„Dann können wir zusammen gehen.“ 

„Das klingt nach einem guten Abend. Hoffentlich verlier ich dich jetzt nicht nach Irland.“ 

„Quatsch! Auch wenn sie mich gerne noch länger dabehalten hätten.“ 

„Das hast du gar nicht erzählt.“ 

„Nicht?“ 

„Nein, mit keinem Wort.“ 

 

Seit Wochen war herrlichstes Herbstwetter. Die Sonne schien, die Bäume färbten sich in leuchtenden Gelb- und Rottönen. Langsam sammelten sich die bunten Blätter wie eine Decke auf den Wiesen und Wegen. Da, wo die Stadtreinigung bereits mit ihren Laubbläsern vorbeigekommen war, lagen kleinere und größere Laubhaufen, die Felix geradezu magisch anzogen, hineinzuspringen. Natürlich tat er es nicht. Er würde es ja auch nicht wollen, dass jemand in seiner Bibliothek die Loseblattsammlung in die Luft warf, nur weil es ein schönes Gefühl war, in einem Blätterregen zu stehen. Ja, genau: Seine Bibliothek. 

Felix trat, wie jeden Morgen in den letzten Monaten, durch die Tür und grüßte Fionn und Cianna, ging in die Küche, legte seine Sachen ab, packte sein Mittagessen in den Kühlschrank, schlüpfte in seine Hausschuhe und kochte sich einen Tee.  

Mit Tee an seinem Schreibtisch begann er mit der täglichen Arbeit. Neuzugänge ins System einarbeiten, Stichwörter und Signaturen vergeben. Er war gerade bei einem neuen Kinderbuch über Dinosaurier angelangt, als Cianna an seinen Schreibtisch trat. 

„Felix, kann ich dich noch um zwei Sachen bitten, bevor du uns bald verlässt?“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. „Du willst nicht doch noch länger bleiben? Du wirst uns ganz schön fehlen.“ 

„Natürlich. Was gibt’s?“ 

„Da du das mit dem Bibliotheksprogramm so gut verstanden hast – könntest du eine Anleitung für unsere zukünftigen Praktikanten schreiben? Du bist der Erste, dem ich das wirklich zutraue. Und wenn du damit fertig bist, könntest du vielleicht noch in der Didaktikabteilung aussortieren? Du hast kennst dich da mittlerweile einfach am besten aus.“ 

„Mach ich. Ich leg dir die Bücher, die ich aussortieren würde, dann einfach hin und du kannst dann entscheiden, ob du sie wirklich aussondern möchtest.“ 

„Brauchst du nicht. Leg sie einfach hinten im Büro auf einen Stapel, dann kann unser nächster Praktikant die aus dem System löschen.“ 

„Bist du dir sicher?“ 

„Ja, bin ich. Mach einfach. Ich vertrau dir.“  

Er lächelte und diesmal erreichte das Lächeln sogar seine Augen. 

 

In diesem Moment wurde ihm etwas klar, und es fühlte sich so selbstverständlich an, als hätte er es schon immer gewusst: Er hatte seinen Platz gefunden. 

Er hatte nie eine Heimat gehabt, sich nie irgendwo zugehörig gefühlt. War immer rastlos. Unruhig. Und immer auf der Suche, ohne genau zu wissen wonach. 

In dieser Bibliothek im Herbst kam sein Lächeln zum ersten Mal seit langem von Herzen. Seine Augen funkelten. Es war so banal. Aber gleichzeitig so eine allumfassende Erkenntnis: Hier war seine Heimat. Zwischen all den Büchern fühlt er sich wie er selbst. Und als sei das auch genau das, was er schon immer fühlen sollte. Er musste erst aufbrechen, um festzustellen, dass sein Platz kein bestimmter Ort war, sondern ein Gefühl: Die Sehnsucht von Büchern umgeben zu sein.  

Wenn die rosarote Brille fällt

Wenn die rosarote Brille fällt

Von Pia Elisabeth Welcher 

Das Praktikum ist ein wichtiger und interessanter Teil des Studiums Bibliotheks- und Informationsmanagement. Ein Semester lang arbeitet man in einer selbst gewählten Einrichtung und erfährt so mehr über ein Berufsfeld. Man beschäftigt sich mit den Aufgaben, die auf einen im Praktikum zukommen könnten, mit den Formularen und Verträgen, die man vorher einreichen muss, und immer wieder kommt die Frage auf: „Wie wird es wohl werden?“. Neben der Vorfreude kommen auch Sorgen. Ob es einem wirklich gefällt, ob die Leute nett sind, und was man eigentlich tun soll, wenn man Probleme mit Kolleg*innen hat oder die Aufgaben, die man bekommt, nicht dem Sinn des Praktikums entsprechen.  

Doch nehmen wir mal an, all diese Sorgen sind unbegründet: Die Kolleg*innen sind freundlich und hilfsbereit. Die Arbeit macht Spaß. Man lebt sich ein. Der Anfang ist aufregend. Es eröffnen sich lauter neue Perspektiven. Man bekommt neue Verantwortung und langfristige Aufgaben übertragen. Doch nach und nach entstehen wieder Gewohnheiten. Jeder Tag ähnelt dem vorherigen. Dann beginnt es, dass die Konzentration nicht mehr zu einhundert Prozent auf der Arbeit liegt und einem manche Kolleg*innen näherstehen als andere. Es wird geredet, während die Arbeit erledigt wird. Und in einem Großraumbüro hören alle mit. Es werden Dinge bemerkt, die vorher nie aufgefallen wären. Kleinigkeiten, wie das wiederholte falsche Einstellen von Büchern, das Fehlen von neuem Kaffeepulver oder die Aufteilung von Aufgaben nach Geschlechtern – Männeraufgaben und Frauenaufgaben. Und dann passiert etwas, von dem man nie gedacht hätte, dass es etwas verändert, weil es eigentlich so unbedeutend ist. Bei mir war es der Müll. Jede Woche war er Thema während der Dienstbesprechungen. Der Papiermüll wurde in einem alten Plastiksack gesammelt, der wirklich groß, unförmig und schon an 20 Stellen mit Klebeband geflickt worden war.  Es gab einen Kollegen, der zuständig dafür war, den Sack einmal die Woche zu leeren. Und alle anderen Kolleg*innen waren sich einig, er sei der Einzige, der das kann. Wenn der Kollege krank, im Urlaub oder vergesslich war, wurde der Müll eben nicht geleert und die Tüte gefüllt, bis sie überquoll. Und anstatt es an seiner Stelle zu tun, wurde lieber genörgelt. An einem Tag war der Kollege so schwer bepackt, dass ich fragte, ob ich ihm nicht beim Tragen helfen könne. Er schaute mich derart perplex, überrascht und verwirrt an, dass mir klar wurde: Diese Frage hatte ihn aus der Bahn geworfen, weil er das nicht oft gefragt wird. Nachdem er begriffen hatte, was ich ihm anbot, war er überglücklich. Das war der Moment, wo ich die rosarote Brille abnahm und mir klar wurde, wie es auf der Arbeit auch laufen kann. Fortan sah ich vieles anders. 

Man sollte sich drauf gefasst machen, dass in alten, strikt hierarchisch geführten Bibliotheken, mintunter eine Zweiklassengesellschaft herrschen kann. An der Spitze steht die Leitung, dann kommen studierte Bibliothekar*innen und am Ende die ausgebildeten FaMIs (Fachangestellte für Medien- und Inforationsdienste). Die Aufgaben von Bibliothekar*innen und FaMIs werden strikt voneinander getrennt. Es wird etwas eher nicht, als von der anderen Berufsgruppe erledigt. 

Es werden auch nicht alle immer gleichbehandelt. In solchen Situationen kann man schnell in einen Zwiespalt geraten, wenn man etwas mitbekommt, was nicht den eigenen Vorstellungen entspricht: Sagt man etwas zu einer Situation, die einen eigentlich nichts angeht, auch auf die Gefahr hin, dass das gute Verhältnis zu Kolleg*innen verloren geht oder bleibt man stumm und ärgert sich im Geheimen? Falls man etwas sagt, kann es passieren, dass eine Diskussion entsteht. Dabei kann man die eigene Position klarstellen und die Argumente der anderen Seite anhören. Das gibt einem die Möglichkeit, in einem vernünftigen Gespräch zu überzeugen. Dafür müssen aber natürlich beide Parteien bereit sein, auf einer professionellen Ebene miteinander zu reden. Am Ende kann es dazu führen, dass man etwas erklären und jemanden überzeugen kann, einzulenken. Ebenso kann man selbst seine Meinung ändern. Solche Gespräche werden in der Regel auch vom Gegenüber als sehr positiv aufgenommen. 

Natürlich gibt es auch die Kehrseite, bei der keine Diskussion, sondern eher ein Streit entsteht. Dann muss man aufpassen, dass es nicht eskaliert, denn sonst zerstört man vielleicht ein gutes Arbeitsverhältnis, aber ändern tut sich nichts. Es ist also wichtig, sich genau zu überlegen, ob sich ein Einmischen lohnt. 

Das es zwischenmenschliche Probleme geben kann, ist in fast jedem Lebensbereich möglich, so auch im Beruf. Ob man nun Bibliothekar*in oder Journalist*in wird oder einen komplett anderen Weg wählt. Es kann immer passieren, dass man mit Kolleg*innen nicht gut zurechtkommt oder etwas in der Unternehmensstruktur nicht gutheißt. Man sollte einen Job also in erster Linie danach wählen, was man gerne macht und erst dann, mit wem man es macht. 

Das Praktikum ist also in vielerlei Hinsicht ein lehrreicher Einblick in das Berufsleben. Man sammelt viele Eindrücke und lernt eine Menge über sich selbst und über andere. 

OE-Reloaded – Ein kurzer Ausflug in das Seminar Praktikumsauswertung

OE-Reloaded – Ein kurzer Ausflug in das Seminar Praktikumsauswertung

Text: Janna Hickethier

O-Töne: Michael Haring

Im 4. Semester sieht der Regelstudienplan – zumindest für den auslaufenden Studiengang BIM – das Seminar Praktikumsauswertung vor. Da die konkreten Inhalte und Themen des Seminars variieren können, bot sich in diesem Rahmen die Gelegenheit, ein gemeinsames Event zu organisieren.

Obwohl meine Kommiliton*innen und ich schon im 2. Studienjahr sind, ist dieses Semester das erste, das wir in Präsenz am Campus erleben. Die ersten beiden Semester haben wir in der Online-Lehre und das 3. Semester im Pflichtpraktikum verbracht. Wir sind daher schon in vielen Bereichen, die die Hochschule betreffen, Expert*innen, in anderen aber auf dem Wissensstand von Erstsemestern. Zwar gab es trotz Corona auch für uns zum Studienbeginn eine offizielle Begrüßung in Präsenz am Campus, die sogenannte Orientierungseinheit, aber danach sind wir anderthalb Jahre nur noch virtuell zusammengekommen. Na ja, und einmal haben wir einen gemeinsamen Klausurtermin in Präsenz gehabt, aber die Zahl der realen Treffen war sehr überschaubar. Deshalb entstand unter den Studierenden der Wunsch, dass es eine Art Wiederholung der Orientierungseinheit geben sollte, bei der wir Viertsemester einerseits die Gelegenheit zum besseren Kennenlernen untereinander, aber auch zum Kennenlernen des Campus’ haben sollten.

Da die meisten von uns recht unerfahren waren, welche zentralen Punkte bei der Planung eines Events zu beachten sind, bekamen wir erstmal einen theoretischen Input zu dem Thema.

„Ein Event ist ein sinnliches, im besten Fall ein einzigartiges und unvergessliches Erlebnis, das für Unternehmen wie Bibliotheken die Chance bietet, sich in einem besonderen „Licht“ zu inszenieren und die Bindung zu Kunden und weiteren Anspruchsgruppen nachhaltig zu festigen.“  (Schade, Steinert, Wöhler 2015)

Na gut, vielleicht war unsere Event-Planung nicht ganz so sinnlich, aber einzigartig und unvergesslich in gewissem Sinne bestimmt. Außerdem zeigt dieses Zitat natürlich, dass auch die Planung von Veranstaltungen oder Events Teil der Arbeit in einer Bibliothek sein kann. Veranstaltungen und Events leisten schließlich einen wesentlichen Beitrag zum Imageaufbau und zur Imagepflege von Bibliotheken und sie sind ein wichtiger Bestandteil von deren Selbstverständnis und Profil. (dbv, 2022).

Unsere Event-Planung begann damit, dass wir erst einmal brainstormten, was wir eigentlich gerne machen wollten. So kam eine Menge unterschiedlichster Ideen zusammen. Leider konnten wir aus Zeit- und Kapazitätsgründen nicht alles umsetzten, daher fokussierten wir uns auf die Ideen, die am konkretesten waren und den meisten Zuspruch fanden.

Wir teilten uns in Teams auf. Es gab ein Team für die Organisation, eins für das Programm und eins für die Kommunikation/Dokumentation.

Um das Event zu bewerben, bastelte das Dokumentations-Team eine Einladung, die über den Mail-Verteiler des Jahrgangs verschickt wurde und das Programm-Team erstellte einen Ablauf für den Nachmittag. Das Planungs-Team kümmerte sich um den äußeren Rahmen und organisierte alles von Essen bis Technik und natürlich Auf- und Abbau.

Nach einer kurzen Begrüßung im Forum Finkenau gab es ein kleines, interaktives Kennenlernspiel für die Studierenden. Hierbei wurden jeweils zwei Begriffe eingeblendet, von denen einer auf einen selbst mehr zu traf als der andere – welcher Typ bist du? Diese Bewertung zeigte man an, in dem man auf die zugeordnete Seite des Raums ging.

Nach dem Spiel startete die Rallye über den Campus.

In kleineren Gruppen absolvierten die Studierenden die fünf Stationen.

Station 1 fand in der Bibliothek statt. Hier gab es ein Quiz, bei dem verschiedene Fragen, die sich auf die Bibliothek bezogen, gelöst werden mussten.

Station 2 musste leider krankheitsbedingt entfallen.

An Station 3 sollten die Studierenden Himmel und Hölle spielen.

Die Aufgabe an Station 4 war die gemeinsame Lösung eines Kreuzworträtsels.

Station 5 war eine Fotochallenge, bei der ein Gruppenfoto entstehen sollte, in dem entweder eine Szene aus einem Film nachgestellt werden sollte oder eine Sportart.

Das Gruppenspiel von Station 6 zog vom Innenhof an den Eilbekkanal um, wo wunderschön eine Zierkirsche blühte.

Am Ende trafen wir uns im Forum Finkenau wieder, wo es noch Preise für die schnellste Gruppe gab. Dort konnte man sich auch mit allerlei Snacks und Getränken stärken, die vom Planungsteam organisiert worden waren.

Zur Evaluation des Events gab es die Möglichkeit, sowohl analog vor Ort als auch später online über ein Jamboard eine kurze Bewertung abzugeben. Außerdem führten wir während des Events Befragungen unter unseren Kommiliton*innen zu ihren Erwartungen an das Event durch.

 

“Ich freue mich auf die Rallye. Ich hab schon gehört, dass wir uns da viel bewegen müssen.”

“Ich freue mich darauf, den gesamten Jahrgang besser kennenzulernen.”

“Ich hoffe, irgendjemand bringt Bier mit. Haben wir kein Bier?”

Auch nach dem Ende des Events wurde noch einmal in die Runde gefragt.

“Also die Rallye war ziemlich lustig. Die Bibliotheksfrau war gar nicht begeistert, dass wir hier rumgeschlichen sind die ganze Zeit. “[lacht]

 

Es war ein schöner Nachmittag, aus dem man eine Menge Eindrücke und Erfahrungen über Eventplanung mitnahm, und wie wir dem gesammelten Feedback entnehmen konnten, kam er auch gut an. ; )

Quellen

Schade, Frauke, Steinert, Eva, Wöhler, Johanna 2015: Planung und Organisation von Events. [online, Abruf: 2015-04-09] verfügbar unter: https://bibliotheksportal.de/ressourcen/management/marketing-baukasten/operatives-marketing/eventmanagement/planung-und-organisation/?cn-reloaded=1

Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv), 2022: Events. [online, Abruf: 2022-06-22] verfügbar unter: https://bibliotheksportal.de/ressourcen/management/marketing-baukasten/operatives-marketing/eventmanagement/

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