Geschichten aus Bibliotheks- und Informationsmanagement
Von Pia Elisabeth Welcher
Das Praktikum ist ein wichtiger und interessanter Teil des Studiums Bibliotheks- und Informationsmanagement. Ein Semester lang arbeitet man in einer selbst gewählten Einrichtung und erfährt so mehr über ein Berufsfeld. Man beschäftigt sich mit den Aufgaben, die auf einen im Praktikum zukommen könnten, mit den Formularen und Verträgen, die man vorher einreichen muss, und immer wieder kommt die Frage auf: „Wie wird es wohl werden?“. Neben der Vorfreude kommen auch Sorgen. Ob es einem wirklich gefällt, ob die Leute nett sind, und was man eigentlich tun soll, wenn man Probleme mit Kolleg*innen hat oder die Aufgaben, die man bekommt, nicht dem Sinn des Praktikums entsprechen.
Doch nehmen wir mal an, all diese Sorgen sind unbegründet: Die Kolleg*innen sind freundlich und hilfsbereit. Die Arbeit macht Spaß. Man lebt sich ein. Der Anfang ist aufregend. Es eröffnen sich lauter neue Perspektiven. Man bekommt neue Verantwortung und langfristige Aufgaben übertragen. Doch nach und nach entstehen wieder Gewohnheiten. Jeder Tag ähnelt dem vorherigen. Dann beginnt es, dass die Konzentration nicht mehr zu einhundert Prozent auf der Arbeit liegt und einem manche Kolleg*innen näherstehen als andere. Es wird geredet, während die Arbeit erledigt wird. Und in einem Großraumbüro hören alle mit. Es werden Dinge bemerkt, die vorher nie aufgefallen wären. Kleinigkeiten, wie das wiederholte falsche Einstellen von Büchern, das Fehlen von neuem Kaffeepulver oder die Aufteilung von Aufgaben nach Geschlechtern – Männeraufgaben und Frauenaufgaben. Und dann passiert etwas, von dem man nie gedacht hätte, dass es etwas verändert, weil es eigentlich so unbedeutend ist. Bei mir war es der Müll. Jede Woche war er Thema während der Dienstbesprechungen. Der Papiermüll wurde in einem alten Plastiksack gesammelt, der wirklich groß, unförmig und schon an 20 Stellen mit Klebeband geflickt worden war. Es gab einen Kollegen, der zuständig dafür war, den Sack einmal die Woche zu leeren. Und alle anderen Kolleg*innen waren sich einig, er sei der Einzige, der das kann. Wenn der Kollege krank, im Urlaub oder vergesslich war, wurde der Müll eben nicht geleert und die Tüte gefüllt, bis sie überquoll. Und anstatt es an seiner Stelle zu tun, wurde lieber genörgelt. An einem Tag war der Kollege so schwer bepackt, dass ich fragte, ob ich ihm nicht beim Tragen helfen könne. Er schaute mich derart perplex, überrascht und verwirrt an, dass mir klar wurde: Diese Frage hatte ihn aus der Bahn geworfen, weil er das nicht oft gefragt wird. Nachdem er begriffen hatte, was ich ihm anbot, war er überglücklich. Das war der Moment, wo ich die rosarote Brille abnahm und mir klar wurde, wie es auf der Arbeit auch laufen kann. Fortan sah ich vieles anders.
Man sollte sich drauf gefasst machen, dass in alten, strikt hierarchisch geführten Bibliotheken, mintunter eine Zweiklassengesellschaft herrschen kann. An der Spitze steht die Leitung, dann kommen studierte Bibliothekar*innen und am Ende die ausgebildeten FaMIs (Fachangestellte für Medien- und Inforationsdienste). Die Aufgaben von Bibliothekar*innen und FaMIs werden strikt voneinander getrennt. Es wird etwas eher nicht, als von der anderen Berufsgruppe erledigt.
Es werden auch nicht alle immer gleichbehandelt. In solchen Situationen kann man schnell in einen Zwiespalt geraten, wenn man etwas mitbekommt, was nicht den eigenen Vorstellungen entspricht: Sagt man etwas zu einer Situation, die einen eigentlich nichts angeht, auch auf die Gefahr hin, dass das gute Verhältnis zu Kolleg*innen verloren geht oder bleibt man stumm und ärgert sich im Geheimen? Falls man etwas sagt, kann es passieren, dass eine Diskussion entsteht. Dabei kann man die eigene Position klarstellen und die Argumente der anderen Seite anhören. Das gibt einem die Möglichkeit, in einem vernünftigen Gespräch zu überzeugen. Dafür müssen aber natürlich beide Parteien bereit sein, auf einer professionellen Ebene miteinander zu reden. Am Ende kann es dazu führen, dass man etwas erklären und jemanden überzeugen kann, einzulenken. Ebenso kann man selbst seine Meinung ändern. Solche Gespräche werden in der Regel auch vom Gegenüber als sehr positiv aufgenommen.
Natürlich gibt es auch die Kehrseite, bei der keine Diskussion, sondern eher ein Streit entsteht. Dann muss man aufpassen, dass es nicht eskaliert, denn sonst zerstört man vielleicht ein gutes Arbeitsverhältnis, aber ändern tut sich nichts. Es ist also wichtig, sich genau zu überlegen, ob sich ein Einmischen lohnt.
Das es zwischenmenschliche Probleme geben kann, ist in fast jedem Lebensbereich möglich, so auch im Beruf. Ob man nun Bibliothekar*in oder Journalist*in wird oder einen komplett anderen Weg wählt. Es kann immer passieren, dass man mit Kolleg*innen nicht gut zurechtkommt oder etwas in der Unternehmensstruktur nicht gutheißt. Man sollte einen Job also in erster Linie danach wählen, was man gerne macht und erst dann, mit wem man es macht.
Das Praktikum ist also in vielerlei Hinsicht ein lehrreicher Einblick in das Berufsleben. Man sammelt viele Eindrücke und lernt eine Menge über sich selbst und über andere.
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