Das Praktikum der Zukunft – Eine Persiflage
Von Hamza Askarzade
Redaktion: Katharina Gerhardt
Das Tippen fällt mir gerade ein wenig schwer, da die Sonne prall durchs Fenster strahlt und mein Gesicht trifft. Na ja, selbst im 20. Stock kommt die Sonne durch, obwohl ich meinem Assistenten bereits mehrfach mitgeteilt habe, er solle die Rollos am Fenster runterfahren lassen, sodass kein Sonnenlicht hineindringt. Im Leben funktioniert halt nicht immer alles, selbst wenn man in einer der renommiertesten Redaktionen der Welt als Chefredakteur arbeitet. Gegen die Sonne ist man machtlos. Ich habe in meiner Studienzeit immer gedacht, in Zukunft sei man befreit von solch banalen Angelegenheiten, aber das war eine falsche Vorstellung. Die sogenannte Zukunft ist nun Gegenwart. Mich holen Erinnerungen ein, während ich arbeite. Wir müssen gerade einen Monster-Blog über die neue Corona-Variante X289-EZ schreiben, die aktuell die Welt in Atem hält. Maskenpflicht, PCR-Tests, Impfungen und die Corona-Leugner. Mal wieder die gleiche Leier wie zur Anfangszeit der Pandemie. 2020. In diesem Jahr begann mein Studium, und ich betrat frisch die Welt der Hochschule. Damals hatten wir die ersten zwei Semester nur Online-Unterricht. Wie ich diese Zeit gehasst habe. Jetzt im Nachhinein aber taucht ein kleines Lächeln um meinen Mund auf. Die nostalgischen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirren, lösen harmonische Gefühle aus. Endorphine durchströmen meinen Körper.
Meine aktuelle Position habe ich dank meines effektiven Einsatzes im Praktikum erreicht. Damals war die Stadt Bremen meine Anlaufstelle. Wenn man die Stelle von damals mit meiner heutigen vergleicht, ist die Differenz offensichtlich. Nach dem Gang durch den dunklen Tunnel habe ich am Ende das Licht erreicht. Die Anstrengungen waren es wert. Ich habe an mich geglaubt. In Bremen habe ich Kontakte für die Zukunft geknüpft. Der kontinuierliche E-Mail-Verkehr mit Chefredakteuren, Verlagsmanagern und vielen anderen Personen aus den verschiedensten Branchen haben meine Zukunft geformt. Dafür bin ich meinem Praktikumsleiter (Name bleibt anonym) auf ewig dankbar, auch weil ich aktuell viel erfolgreicher bin, als er es jemals war. Die Position, die ich jetzt innehabe, ist höher als die des Vorsitzenden meines ehemaligen Praktikumsleiters. Ohne Fleiß kein Preis.
Doch um über die Vergangenheit zu fantasieren, bleibt mir aktuell keine Zeit. Meine Zeit ist eine ziemlich knappe Ressource. Ich wandle meine Zeit in effektive Arbeit um, und die Arbeit wiederum in Geld. Als Chefredakteur des SPIEGEL bleibt mir keine andere Wahl. Nebenbei mische ich auch auf dem Aktienmarkt und in der Immobilienbranche mit – ich liebe das. Ein Blick auf meine kostspielige Uhr am rechten Handgelenk weist mich auf die knappe Zeit hin. Die Sonne lenkt mich ab, meine Arbeitskollegen lenken mich ab, meine Gedanken lenken mich ab… gefühlt ist der Tag heute voller Ablenkungen. Ich muss da jetzt durch. Die Arbeit hat Priorität. Alle erwarten die neuste Recherche, und ich muss diese Aufgabe koordinieren! Als leitender Mitarbeiter einer fast hundertköpfigen Truppe muss alles perfekt ablaufen. Die Zukunft hat mich eingeholt. Wo bin ich nur gelandet? Vor einer Sekunde saß ich noch im Modul Wissensorganisation an der HAW Hamburg. Auf dem Campus an der Finkenau. Eine idyllische Gegend. Die Zeit flog, und so schnell wie ich immatrikuliert war, so schnell hatte ich auch meinen Abschluss in der Tasche. Das Studium formte eindeutig meine Zukunft. Ich bin heute nur in dieser hohen Position, weil ich mein Studium erfolgreich abgeschlossen habe… Die damalige Gegenwart schuf die Zukunft von heute. Doch back to topic! Ich bin doch kein Tagträumer!
Mein Geldbeutel füllt sich ja nicht von selbst. Ich muss mich konzentrieren. Ich schaffe das. Vielleicht. Ich korrigiere mich: Nicht vielleicht! Ich werde mit der Aufgabe ganz sicher fertig. Das ist doch kein Hindernis. Ich nehme die Steine, die mir in den Weg gelegt werden und baue damit eine Einbahnstraße. Diese Einbahnstraße führt nur geradeaus, ohne irgendwelche Zwischenstopps, Haltestellen oder gar Raststätten. Immer nur geradeaus. Meine Zukunft habe ich selbst geschrieben und nun stehe ich da, wo ich hinwollte. Doch das reicht der Zukunft nicht. Die Zukunft fordert alles von mir. Ich soll meine Seele, meinen Geist, meine Zeit, meinen Körper und mein Herz für die Zukunft opfern, damit ich noch weiter aufsteigen kann. Erfolgsdruck auf höchstem Niveau. Ich kann leider mein Leben nicht anders gestalten. Es muss nun mal ein Riesendruck auf meinen Schultern lasten, damit die Räder funktionieren. Mir ist heiß. Die Sonne sticht richtig. Wieder schweife ich ab vom Schreiben, der Redaktionsschluss dräut, und gleich ist auch noch Online-Konferenz. Wieder denke ich an das damalige Praktikum. Wie so etwas wohl in Zukunft aussieht?
Das Praktikum der Zukunft ist weit wichtiger als die SPIEGEL-Redaktion. Diese Stelle ist auch nur eine Haltestelle zum großen Erfolg. Die Welt ist zu klein für die Zukunft. Die Gestalt des Zukunftspraktikums geht weit über meine Fantasie hinaus. Es gibt kein Limit! Das Praktikum der Zukunft wird ein Event sein, das jeglichen Rahmen der Einbildungskraft sprengt. Das Praktikum der Zukunft bietet viel mehr als eine fünfstellige Geldsumme, die monatlich auf mein Konto kommt. Es geht um die völlige Kontrolle der eigenen Zukunft! Die habe ich in der Hand. Griffbereit und sicher. Mich hält niemand auf. Vielleicht erfolgt das Praktikum bei Elon Musk auf dem Mars, wo wir gemeinsam eine Wasserquelle suchen. Vielleicht aber auch im Weißen Haus, wo ich als Datenerfasser Einblick in sämtliche Dokumente der amerikanischen Regierung erhalte. Vielleicht aber findet das Praktikum auch in meiner eigenen Firma statt, die mehr als zehntausend Mitarbeiter hat, und in der ich eigene Praktikanten einstelle. Eines ist aber sicher: Das Praktikum der Zukunft macht mich weltbekannt!
„Hamza wach auf, Mann. Du schläfst ja schon wieder!“ Das höre ich ganz verschwommen von einer bekannten Stimme. Wer ist das? Mein Freund Tom? Ja das muss er sein. Mein Kommilitone. Was? Mein Kommilitone? Wie kann das sein? Die Stimme weckt mich auf. Das langsame Öffnen der Augen, eine kurze Bewegung der Hände. Ich bin mal wieder eingeschlafen mitten in der Vorlesung. Das passiert, wenn man am Tag davor lange wach blieb, um eine Bewerbung zur verfassen. Das hatte ich ja ganz vergessen. Durch die Kündigung meines Nebenjobs als Lagerarbeiter muss ich nun einen neuen Nebenjob finden, der mir finanziell ein wenig unter die Arme greift. Da ich BAföG bekomme, kann ich leider im Monat nicht mehr als 450 € verdienen. Der Professor spricht undeutlich über ein Thema, das mir völlig neu ist. Oh Mist! Mir fällt gerade auf, dass wir ja immer noch im vierten Semester sind. Das Semester war so arbeitsintensiv, dass ich kaum Energie hatte. Mir fehlten die Zeit und die Lust, etwas außerhalb des Studiums zu tun. Der Professor nuschelt. Er redet vor sich hin. Sein Sprachfluss ist einfach zu schnell für mich. Das Einzige, was ich heraushören kann, ist folgender Satz: „Gestalten Sie nun ihre eigene Zukunft auf einem Blatt Papier. Ganz schlicht und in knappen Sätzen.“ Die Zukunft? Ich weiß schon genau, was ich aufschreiben will.