Geschichten aus Bibliotheks- und Informationsmanagement
Von Lena Spieß
Das Schiff setzte über. In einem Dokument auf meinem Holoreader hatte ich von einer Seekrankheit gelesen, die die Menschen früher befiel, weil ihre Schiffe schaukelten. Zum Glück war das heute nicht mehr so. Ich wäre sonst bestimmt eine, die über der Reling hängen würde. Nahezu geräuschlos glitten wir über das Wasser. Nur am Gegenwind und der näherkommenden Insel war zu merken, dass wir uns überhaupt fortbewegten.
Über die Informationsinsel gab es nahezu unendlich viele Mythen und Theorien. Seit meiner Kindheit fesselten sie mich. Nur ganz Wenigen ist das Betreten der Insel überhaupt erlaubt. Und es gibt strenge Bedingungen. Wer sie einmal betreten hat, darf zwar all das Wissen teilen, das er oder sie dort erhalten hat, aber Informationen über die Insel selbst dürfen nicht weitergegeben werden. Keiner, der nicht selbst auf der Insel war, weiß also, wie das Wissen aufbewahrt wird. Warum braucht man dafür eine ganze Insel, wo man doch alles auf winzigen Chips speichern kann?
Seit ich das erste Mal von dieser Insel erfahren habe, arbeite ich darauf hin, sie betreten zu dürfen. Alles in meinem bisherigen Leben drehte sich um diesen Augenblick, der jetzt endlich kommen würde. Was, wenn es sich nicht gelohnt hat? Ich habe auf so viel verzichtet, um dieses Ziel zu erreichen. So viel verpasst.
Meine Gedankenspirale wurde davon unterbrochen, dass ich von hinten angerempelt wurde. Mehrfach. Menschen drängten sich an mir vorbei zum Bug. Da lag sie vor mir: die Informationsinsel. Und egal, was ich mir ausgemalt hatte. Das hätte ich mir nicht vorstellen können. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Zumindest nicht außerhalb des Holoreaders. Ein riesiges Gebäude erhob sich auf dem kleinen Berg der Insel vor uns. Ein prächtiges Schloss aus Sandstein mit Türmen und reicher Verzierung.
Kurze Zeit später standen wir genau vor diesem Schloss. Von Nahem sah es noch viel überwältigender aus. Die Flügeltüren öffneten sich. Direkt hinter der Tür stapelten sich Bücher. Wir bekamen alle ein paar Handschuhe, ohne die wir die Bücher nicht anfassen durften. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Buch gesehen, geschweige denn eines angefasst oder gar gelesen. Keines von ihnen sah aus wie das andere. Manche waren groß und schwer mit einem Einband aus etwas Weichem und Glattem. Andere waren kaum größer als meine Hand und ihr Einband war rau und brüchig. Und dann dieser Geruch. Ich wollte diesen Ort nie wieder verlassen.
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